Christdemokratischer Untergang

CDU muss neu buchstabiert werden. Sie kommt in Berlin mit gerade 21,4 Prozent auf das schlechteste Ergebnis seit 15 Jahren. SPD bleibt mit Abstand stärkste Partei. Linke und FDP legen zu, Grüne stabil

Mehr als 2.000 CDU-Anhänger waren gekommen, um vor dem Konrad-Adenauer-Haus zu feiern. Und verstummten, als jede Hochrechnung das Wahldesaster der Union bestätigte. Nicht nur im Bund bleibt die CDU weit hinter den Prognosen. In Berlin fährt die Partei sogar das schlechteste Zweitstimmenergebnis seit 15 Jahren ein: nur 21,4 Prozent. Die SPD kann sich als stärkste Kraft behaupten. Während die Linkspartei stark und die FDP etwas zulegen, verlieren die Grünen leicht. Mit 77,6 Prozent der 2,44 Millionen Wahlberechtigten war die Wahlbeteiligung geringfügig höher als 2002.

Die CDU sackt nach vorläufigen Hochrechnungen nicht nur unter das Zweitstimmen-Ergebnis bei den Bundestagswahlen 2002, als sie 25,9 Prozent erzielte. Selbst das desaströse Abschneiden bei der Abgeordnetenhaus-Wahl 2001, als ihr Spitzenmann Frank Steffel mit 23,8 Prozent absoff, unterbietet die Union. Der CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer kündigte eine Bestandsaufnahme an. Vor der Abgeordnetenhauswahl 2006 müsse seine Partei genau untersuchen, warum sie gerade im Osten der Stadt so schwach abgeschnitten hat. Dort erreichte die CDU nach ersten Hochrechnungen nur 12,8 Prozent, im Westen immerhin 27,2 Prozent.

Die SozialdemokratInnen im Neuköllner Wahlkreisbüro brechen in Jubel aus, als die ersten Hochrechnungen einlaufen – trotz Verlusten der SPD. Nach vorläufigen Angaben des Landeswahlleiters kommt die SPD auf 34,4 Prozent – 2,2 Punkte weniger als bei der Wahl 2002. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) spricht von einer „grandiosen Aufholjagd“. In beiden Stadthälften ist die SPD demnach mit 33,8 (West) und 34,9 (Ost) die stärkste Kraft.

Auch bei der Linkspartei auf dem Schlossplatz herrschte gute Stimmung. Nach vorläufigen Hochrechnungen legte sie im Vergleich zu 2002 um 5 Punkte auf 16,4 Prozent zu. Ihr Spitzenkandidat Gregor Gysi sagte mit Blick auf Spekulationen über ein rot-rot-grünes Bündnis: „Es gibt eine Mehrheit links von Union und FDP, aber noch können wir sie nicht wirklich nutzen. Ich weiß nicht, was der Bundestag damit anfängt.“ Die Linke erreicht im Osten 29,6 Prozent und wird dort zweitstärkste Kraft.

Ohrenbetäubender Lärm hallte auch durch den Hangar des Flughafengebäudes Tempelhof – obwohl die dort feiernden Grünen ihr Wahlergebnis von 2002 voraussichtlich nicht halten können. Hochrechnungen sahen die Grünen gestern Abend bei 13,7 Prozent – ein Minus von 0,9 Punkten. Die Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz sieht die Aufgabe ihrer Bundespartei in der Opposition. Natürlich bereite sich ihre Partei jetzt erst mal auf die Oppositionsrolle vor, sagte Klotz, die auch für den Bundestag kandidierte. Über das Grünen-Ergebnis in der Stadt zeigte sie sich erfreut. Das sei immerhin eines der besten Ergebnisse der Landespartei bei Bundestagswahlen. Die Nummer zwei der Grünen-Landesliste, Wolfgang Wieland, sieht nach den ersten Ergebnissen eine Ampelkoalition voraus und zeigt sich erfreut, dass es nicht für Schwarz-Gelb reicht: „Der Gedanke an eine große Koalition erfüllt mich angesichts der zehnjährigen Erfahrung in Berlin mit Grausen.“

Gewinner der Wahl ist auch in Berlin die FDP. Sie legt nach ersten Hochrechnungen auf 8,6 Prozent zu – ein Plus von 2 Prozentpunkten. Die Partei mit ihrem Spitzenkandidaten Markus Löning schneidet im Westen mit 10,8 Prozent fast doppelt so stark ab wie im Osten mit 5,5 Prozent. Der FDP-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Martin Lindner, hat seine ganz eigene Meinung zu einer Ampelkoalition: „Rot-Grün liegt doch wie ein Liebespaar seit sieben Jahren im Bett. Und da sollen wir mit reinsteigen? Unsinn.“

GA, MLO, ROT, US, FLEE, PLU