Ein Dammbruch

Auf ihrer „Konferenz für audiovisuelle Politik“ diskutiert die EU-Kommission ab morgen über die Freigabe von bezahltem Product-Placement

VON BARBARA HÜBNER

Abends zur Daily-Soap-Zeit: An einer Straßenecke stehen zwei hip gekleidete Jugendliche und unterhalten sich darüber, wohin sie als Nächstes in den Urlaub fahren. Im Hintergrund prangt bunt und unübersehbar das Logo eines Reiseveranstalters. Im unteren Teil des Bildschirms erscheint ein Streifen: Achten Sie bitte auf Werbung. Einige Programme weiter gezappt, sieht man in einem Spielfilm ein Auto gegen einen Baum fahren. Der Werbespot eines Automobilclubs erscheint: Sie haben eine Panne? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

Sieht so das Fernsehprogramm der Zukunft aus? Gernot Schumann ist Europabeauftragter der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten. Er nennt diese zwei Beispiele, um zu verdeutlichen, was den Fernsehzuschauer erwarten würde, käme der Plan der EU-Kommission durch, bezahltes Product-Placement mit einer Kennzeichnungspflicht zu legalisieren und Werbevorschriften zu lockern. „Bislang wäre das eindeutig Schleichwerbung, unter der geplanten neuen Richtlinie wären diese Praktiken, weil vorher kenntlich gemacht, zulässig“, kritisiert Schumann. Ein Paradigmenwechsel im Fernsehen, glaubt er, steht uns bevor. „Es wäre das Ende der redaktionellen Unabhängigkeit.“ Das Vorhaben sei verfassungsmäßig bedenklich, „denn die bisherige deutliche Trennung von Werbung und Programm ist für mich die dem Grundgesetz abzuleitende Geschäftsgrundlage dafür, dass es überhaupt Werbung im Fernsehen geben darf“.

Seit Mitte Juli ist das Diskussionspapier der EU-Kommission „zur geplanten Revision der Richtlinie Fernsehen ohne Grenzen“ im Internet abrufbar (http://europa.eu.int/comm/avpolicy/revision-tvwf2005/consult_en.htm). Es ist das Ergebnis von Anhörungen diverser Medienexperten zum Thema. Morgen wird es in Liverpool abschließend diskutiert. Auch bei Verleger- und Journalistenverbänden sorgt es seither für aufgeregte Debatten. Sie befürchten einen „Dammbruch“, einen „Nachfolgedruck auf den Printbereich“ und wollen europaweit dagegen vorgehen.

Private Sender sind hingegen für Product-Placement mit einer Kennzeichnungspflicht. Sie fordern zudem, Werbebeschränkungen zu liberalisieren: Spots sollen künftig einzeln während des Films und nicht nur in Blöcken gezeigt werden dürfen. „Der Zuschauer hat eine Fernbedienung und kann selber entschieden, was er sehen will“, so Hartmut Schultz vom Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT). Die Öffentlich-Rechtlichen haben sich gegen bezahltes Product-Placement ausgesprochen. „Es ist absurd, wir sind dabei, Schleichwerbung einzudämmen, und die kommerzielle Konkurrenz wünscht sich eine Auflösung“, sagt ARD-Sprecher Tassilo Forchheimer.

In der EU-Kommission wehrt man sich gegen die Vorwürfe, man wolle Schleichwerbung legalisieren. Zeitungsverleger befürchteten lediglich, Werbeeinnahmen ans Fernsehen zu verlieren. Product-Placement sei „nichts Neues“ und komme inzwischen „immer häufiger vor“, sagt Martin Selmayr, Sprecher der EU-Kommissarin Viviane Reding, zuständig für Informationsgesellschaft und Medien. Vor allem europäische Filmproduzenten hätten die EU-Kommission aufgefordert, „bezahltes Product-Placement als neue Finanzierungsquelle der europäischen Inhalteindustrie zu erlauben und klare Regeln für dessen Einsatz aufzustellen“. Denn der europäische Film in Europa habe nur einen Marktanteil von 30 Prozent, „der amerikanische Film hingegen von 70 Prozent“. Klare Regeln, das heißt für die EU-Kommission: mit einer Kennzeichnungspflicht. Ob im Vor- und Abspann oder während des Films, wird derzeit noch diskutiert.

Kritiker halten selbst die Kennzeichnung für nicht umsetzbar. „Wie will ein europäischer Fernsehsender, der einen Film aus den USA bekommt, erkennen, ob bezahltes Product-Placement darin enthalten ist“, sagt Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Ein normales Product-Placement bräuchte keine Kennzeichnung, „durch Kennzeichnung würde es zu einem Sponsoringfall“, gibt hingegen Horst Avenarius, Vorsitzender des Deutschen PR-Rates, zu bedenken. Und laut Rundfunkstaatsvertrag wäre dies verboten. Doch geht es nicht um mehr?

Sollte sich bezahltes Product-Placement durchsetzen, gerieten Medien unter Generalverdacht, nur noch Inhalte zu bringen, für die bezahlt wurde. Berechtigt ist in diesem Zusammenhang ein Wort Herbert Riehl-Heyses: „Journalisten müssen nach Wahrheit suchen und in Wahrheit berichten. Wenn die Leute anfangen, nicht mehr zu glauben, dass der Journalist sich darum zumindestens bemüht, hat sich der Berufsstand erledigt“.