Angefixt vom Staat?

JUSTIZ Brisanter Vorwurf: Ein Polizei-Informant soll einen Mann zum Handel mit Drogen angestiftet haben. Der steht jetzt mit vier Komplizen vor Gericht

Der Prozess vor dem Landgericht um einen der größten Drogenfunde der vergangenen Jahre wird von der fraglichen Rolle der Ermittler überschattet. „Fraglich ist, ob die Tat durch eine V-Person der Polizei hervorgerufen wurde“, sagte Gerichtssprecher Tobias Kaehne am Dienstag und bestätigte damit einen Bericht der Berliner Zeitung. Demnach sollen Ermittler das Geschäft mit 100 Kilogramm reinem Kokain überhaupt erst eingefädelt haben. Vor diesem Hintergrund könnte das für heute erwartete Urteil für fünf Angeklagte geringer ausfallen als die vom Staatsanwalt geforderten Haftstrafen von bis zu acht Jahren.

Die Berliner Ermittler hatten im August 2011 mit Zollbeamten in Bremerhaven zugeschlagen, nachdem ein Schiff aus Mittelamerika eingelaufen war. Sie fanden hochreines Kokain im Wert von mehreren Millionen Euro. Knapp zwei Jahre waren die Verdächtigen beobachtet worden. Laut Staatsanwaltschaft wollten sie eine „langfristige Lieferschiene“ nach Berlin aufmachen. Was die Bande um einen heute 52 Jahre alten Berliner nicht wusste: Die Polizei arbeitete mit einem V-Mann zusammen und hatte zudem einen verdeckten Ermittler eingeschleust.

Der jetzige Vorwurf wiegt schwer: Die Ermittler sollen den 52 Jahre alten Hauptbeschuldigten über den V-Mann überhaupt erst zu der Tat angestiftet haben. Kaehne sagte, nach der Urteilsverkündung müsse gegebenenfalls geprüft werden, ob die Maßnahmen im rechtlichen Rahmen stattfanden. Die Polizei wollte sich nicht äußern, auch die Staatsanwaltschaft war für keine offizielle Stellungnahme zu erreichen. Einem Polizeiexperten zufolge ist der Vorwurf, der Angeklagte sei zu der Tat gedrängt worden, eine „gängige Verteidigungsstrategie“.

Nicht vorbestraft

Fest steht: Der Kopf der Bande war bis zur Tat nicht vorbestraft. Nach einem Hinweis aus dem Jahr 2009 stand er im Verdacht, mit Heroin zu handeln, übliche Ermittlungsmethoden griffen aber nicht. Darum setzten die Ermittler einen V-Mann auf den von Geldsorgen geplagten 52-Jährigen an. Den Vorwürfen zufolge soll dieser den Mann mit einem fingierten Drogendeal gelockt haben.

Brisant dabei ist, dass die V-Person den 52-Jährigen zu mehr gedrängt haben könnte, als eigentlich von den Ermittlern vorgesehen war. Dabei könnte möglicherweise Geld eine Rolle gespielt haben, das dem V-Mann in Zusammenhang mit der Höhe des Deals in Aussicht gestellt worden sein soll. „Für manche ist das ein Motivationsschub“, sagte ein Beamter. „Manche überspannen den Bogen dann.“

Für den Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) sind V-Personen bei solchen Ermittlungen nicht unüblich. Denn laut dem Berliner BDK-Vorsitzenden Michael Böhl ist es „extrem schwer, in die Szene reinzukommen“. Auch kämen immer wieder fingierte kriminelle Geschäfte zum Einsatz, um „tatgeneigte“ Verbrecher zu überführen.

Auch anderswo setzt die Polizei V-Leute ein – etwa bei Rockerclubs oder in der rechts- und linksextremen Szene. Zuletzt sorgte der Einsatz des V-Mannes Thomas S. für Aufsehen, der 2002 Hinweise auf das NSU-Terrortrio geliefert haben soll.

Nach Ansicht des Grünen-Innenexperten Benedikt Lux wirft das Vorgehen der Polizei Fragen auf. „Der Einsatz von V-Personen darf nicht dazu führen, dass Personen angestiftet werden, Straftaten zu begehen“, so Lux. „Dieser Fall bestätigt, dass die V-Personen-Problematik endlich umfassend in der Politik geführt werden muss.“ JULIAN MIETH, DPA