Die Gewinner sind ernüchtert

Trotz Traumergebnis: FDP verfehlt ihr Wahlziel und will in die Opposition

Erst jubelten sie, dann dämmerte den Liberalen die Realität: Auch als Sieger kommen sie nicht an die Macht

VON CHRISTIAN FÜLLER

Widersprüchlicher hätte eine Wahlparty nicht sein können. Als die 10,5-Prozent-Prognose der FDP über die Fernsehschirme lief, gelten Freudenschreie im Thomas-Dehler-Haus in Berlin. Aber bereits eine Schrecksekunde später hatten die Liberalen realisiert: Es reicht nicht für Schwarz-Gelb. Allerdings sind die Freien Demokraten zu Farbspielen zwecks Regierungsbeteiligung nicht bereit. „Für eine Ampel und ähnliche Hampeleien sind wir nicht zu haben“, sagte Parteichef Guido Westerwelle – und diesmal war der Jubel noch größer als bei der Freude über den Wahlsieg.

Je länger der Abend sich hinzog, desto unwahrscheinlicher wurde die Möglichkeit, doch noch ein schwarz-gelbes Kabinett unter Führung von Merkel und Westerwelle zu schaffen. Das bedeutet, dass Koalitionsgespräche von Union und SPD anstehen. Die FDP ist außen vor – und sie ist geradezu stolz darauf. „Ich finde es ohnehin schrecklich, dass die Linken in diesem Land eine Mehrheit haben“, sagte ein FDPler bei der Wahlparty in der Reinhardtstraße, „da dürfen wir auf keinen Fall noch mitmachen.“ Lieber in die Opposition.

Dass dies dennoch ein schwerer Gang für die Liberalen wird, war bei nicht wenigen zu verspüren. Die Freude wich schnell der Wut über die anderen Parteien. Die SPD, weil sie sich zum Wahlsieger ausrief; die Union, weil sie nicht genug Stimmen geholt hat; die Grünen, weil man mit ihnen nicht koalieren kann; die Linkspartei, weil es sie gibt. Als Parteichef Westerwelle zur Freude über einen großartigen Sieg aufrief, rief dies auch Bitterkeit bei manchem Anwesenden hervor.

Die Enttäuschung ist logische Folge der Verheißungen des Vorsitzenden Guido Westerwelle. Er hatte den Anspruch auf Politikwechsel und Mitregieren wie eine Monstranz vor sich hergetragen. Die Liberalen sehnen sich zurück an die Fleischtöpfe der Macht, nun müssen sie in die Opposition – obwohl sie ein zweistelliges Ergebnis errungen haben. Auch der Beinahe-Außenminister Wolfgang Gerhardt wehrte alle Versuche ab, eine Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen ins Gespräch zu bringen: „Wir haben Verantwortung gegenüber den Menschen, die uns gewählt haben.“ Allerdings: Das Präsidium der FDP hatte sich gestern Abend in einer Spontansitzung zumindest mit dem Thema Ampel befasst – und es beerdigt, wie ein Teilnehmer berichtete.

Viele FDPler versuchten gestern trotzig, das Nichtregieren als ehrenvollen Ausweg aus der verzwickten Farbenlehre darzustellen. „Lieber eine starke Opposition als mit Rot und Grün in einer Ampel“, sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete Hellmut Königshaus. Wie sehr die Liberalen an dem Wahlergebnis kauen, machten andere Sätze deutlich. Es wurden Spekulationen darüber angestellt, wie eine große Koalition mit einer erheblich geschwächten Angela Merkel aussehen könnte. Die SPD werde versuchen, so lauteten die Mutmaßungen, so schnell wie möglich aus der Rolle des Juniorpartners der Union auszubrechen – um sich in ein Bündnis mit Grünen und Linkspartei zu begeben. Als Vorbild gilt Berlins Regierender Bürgermeister, Klaus Wowereit (SPD), der in Berlin eine große Koalition verließ, um ein rot-rotes Bündnis zu schmieden. Das Szenario, das die Spindoktoren der Liberalen aufbauten, will es, dass die SPD ohne Gerhard Schröder bereits nach einer überschaubaren Zeit bereit sein werde, sich mit der Linkspartei und den Grünen einzulassen. Es brauche nur einen Anlass in der sicherlich kritischen Zusammenarbeit von SPD und CDU, um der Union den Rücken zu kehren. Eine Ampel stehe als Ausweg nicht zur Verfügung. Gegen eine Verbindung mit den Grünen sträube sich alles in der FDP: die Basis. Die Wähler. Und Guido Westerwelle.