Schröder ist los

Der Kanzler will Kanzler bleiben: Vor der SPD präsentiert er sich als Mann der Zukunft

Im Wahlkampf hat er sozialdemokratische Politik gepredigt, die er so nie gemacht hatDie 34-Prozent der SPD münzte er kurzerhand in einen grandiosen Erfolg um

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Es sah ja in den vergangenen Wochen so aus, als könne das gar nicht wahr werden – dass Gerhard Schröder tatsächlich verliert. Dass er abtritt. Dass er das wird, was er seit dem 22. Mai bereits ist: ein Mann der Vergangenheit. An jenem Abend vor vier Monaten hatte der Kanzler sein Scheitern öffentlich eingeräumt. Am gestrigen Abend musste er die Aufforderung des Wählers, daraus die Konsequenzen zu ziehen und mit Rot-Grün abzutreten, zur Kenntnis nehmen. Aber er tat, als kenne er eine andere Wahrheit. Als Schröder um 19.25 Uhr die Bühne im Willy-Brandt-Haus unter dem Jubel seiner Anhänger erklomm, trat er, typisch für ihn, wie der Sieger auf. Wie ein Mann der Zukunft.

Ganz so, als könne dieser Kanzler seinem Schicksal doch ein Schnippchen schlagen. Als wiederhole sich die Geschichte beim zweiten Mal doch nicht als Farce, sondern als Neuauflage des Wunders von 2002. Das 34-Prozent-Ergebnis der SPD, eines der schlechtesten in ihrer Geschichte, münzte Schröder kurzerhand in einen grandiosen Erfolg um. Und Angela Merkel ließ er angesichts ihres Absturzes wissen, dass sie „grandios gescheitert“ sei.

Schröder hatte in den letzten Wochen noch einmal demonstriert, was ihn in fast 40 Jahren in der Politik so stark gemacht hatte: der unbändige Wille des Aufsteigers, sich nicht nehmen zu lassen, was er sich selbst erkämpft hat. Die Zähigkeit des Underdogs. Die Rauflust des Machttiers. Diese Energie entlud sich am Sonntagabend zweimal. Das erste Mal, als er Merkel und der Union den Anspruch aufs Kanzleramt streitig machte. Eine Partei, die so zuversichtlich und so arrogant in den Wahlkampf gestartet sei und jetzt ein so schlechtes Ergebnis eingefahren habe, könne keinen politischen Führungsanspruch ableiten, sagte Schröder. Eine große Koalition unter Angela Merkel werde es nicht geben. Im Gegenteil. Niemand außer ihm sei „in der Lage, eine stabile Regierung zu bilden“.

Bei seinem zweiten Angriff knöpfte sich das Machttier Schröder die Medien vor. Die SPD habe ein Wahlergebnis erreicht, das viele der professionellen Beobachter für völlig unmöglich gehalten hätten. Und dann sprach, nein, brüllte der Kanzler voller Wut, dass „Medienmacht und Medienmanipulation“ die demokratische Kultur des Landes nicht zerstören könnten. Hier redete der Mann, der sich nicht vom Hof jagen lassen will, nicht von den Genossen, nicht von den Konservativen und schon gar nicht von den Medien. Also stürzte sich der Kanzler auch an diesem Sonntagabend in den Kampf und machte das, was er am besten kann, weil es die Grunderfahrung seiner Biografie ist: Ich, Gerhard Schröder, allein gegen alle! Ich habe keine Chance, also nutze ich sie!

Aber was bedeutet das? Die Hoffnung, dass sich das Ergebnis im Laufe der Nacht noch dreht, ganz so wie vor drei Jahren? Eine Ampelkoalition, obwohl die FDP das schon vor seinem Auftritt ausgeschlossen hatte? Das Hochtreiben des Preises für eine große Koalition? Schröder und Parteichef Franz Müntefering hielten sich da ganz bedeckt. Der Kanzler machte nur die im Grunde selbstverständliche Ansage, dass die SPD unter Münteferings Führung Gespräche führen werde, und zwar mit allen Parteien, ausgenommen die Linkspartei. Und dann fügte er etwas kryptisch hinzu, die Gespräche sollten in die Richtung gehen, die Müntefering und er miteinander besprochen hätten. Aber: „Sie werden erfolgreich sein.“

Legendär ist die Episode, wie der junge Gerhard Schröder in Bonn am Tor des Kanzleramtes rüttelte und brüllte: Ich will hier rein. Ist er jetzt wieder draußen? Der Sonntagabend hatte auf diese Frage zunächst keine klare Antwort parat. Typisch Schröder eben.