Berliner Szenen
: Charmanter Hermannplatz

Wasserglätte

Fast fühlt sich das an, als wäre ich zu ­Besuch in Berlin

Schon am Vormittag steht die Stadt unter Wasser. Dauerregen, Ausnahmezustand, Internetvideos von Menschen, die die Straßen Berlins durchschwimmen oder – surfen. Normalerweise mag ich es, wenn es im Sommer richtig gewittert, aber weil ich am Nachmittag meine Sonderfahrt „Autobahn“ machen soll, prüfe ich ständig den Wetterbericht.

Mit einem „Warum verschieben?“ antwortet der Fahrlehrer. Nach langer SMS-Diskussion mache ich mich dann doch auf den Weg zur Fahrschule. Als ich am Hermannplatz bin und fast vor der Tür stehe, ruft er mich an und sagt, ich hätte ja recht: Die Verkehrslage sei die Hölle, die Autobahn so wie so teilweise gesperrt. Also doch verschieben.

Da es zu krass regnet, um nach Hause zu laufen, gehe ich zu Karstadt und komme auf die Idee, auf die Dachterrasse zu steigen, die natürlich wegen Unwetter gesperrt ist. Die höchste Etage des Einkaufszentrums ist ein merkwürdiger Ort. Im riesigen Raum sitzen eine Familie mit Doppelkinderwagen, ein zeitungslesender Mann, ein Pärchen mit blondierten Haaren und Lederjacken, eine Pfandsammlerin mit bunten Plastiktüten – und Mann und Frau, die schweigend, und auf ihren Teller blickend, essen. Melodische Songs und ab und zu Reggaeton laufen leise im Hintergrund. Ich nehme ein Bier aus dem Büffet und wähle einen Tisch in der Nähe des blondierten Paars.

Trostlos ist der Raum und doch auch gemütlich. Das gelbe Licht der Lampen und der Pano­ra­mablick durch beschlagene Fenster. Fast fühlt sich das an, als wäre ich zu Besuch in Berlin und würde in einem billigen Hotel übernachten.

„Scheißwetter“, sagt die blondierte Frau zu ihrem Partner. Ich finde es gerade charmant. Auf jeden Fall besser als Aquaplaning für Anfängerinnen auf der Autobahn. Luciana Ferrando