heute in hamburg: „Kolonialismus geht weiter“
Ritual Eszter Salamons Performance im Museum widersetzt sich der eurozentristischen Ästhetik
45, Künstlerin, Performerin und Choreografin, wurde in Ungarn geboren und lebt zwischen Paris, Berlin und Brüssel.
taz: Frau Salamon, welche Tänze zeigt Ihre Compagnie im Museum für Kunst und Gewerbe?
Eszter Salamon: Vor allem alte Tänze unterschiedlicher Herkunft und Bestimmung: Stammestänze, traditionelle Tänze, Folklore-Tänze. Viele davon empfinde ich als Kriegs- und Widerstandstänze. Dazu kommen Elemente zeitgenössischer Tänze, etwa der Street Dances. Sie sind aufgrund der Migrations- und Kolonialgeschichte oft Mixturen aus Alt und Neu.
Und inwiefern ist das ein „Ritual of Transformation“?
Weil es viele Arten gibt, diese Tänze aufzuführen. Auch in der jeweiligen Herkunftsregion variiert die Performance eines bestimmten Tanzes – je nachdem, ob es sich um einen Gemeinschaftstanz, eine Zeremonie oder eine Darbietung für Touristen handelt. Es gibt also nie den einzig möglichen „authentischen“ Ausdruck eines Tanzes. Unsere Performance zeigt diese Vielfalt.
Aber befördert Ihre Performance nicht das europäische Klischee archaischer afrikanischer Stammestänze?
Für die Klischees in seinem Kopf ist jeder Besucher selbst verantwortlich. Uns interessiert aber eher die Zirkulation und Bewertung von Wissen sowie um die Kraft von Ästhetik: Welche Ästhetik wird – auch in der Tanzausbildung – wertgeschätzt, welche gilt immer noch als irrelevant? Letztlich geht es um die blutige Geschichte von Herrschaft und Exklusion.
Betrifft das die Tänzer auch persönlich?
Ja. Einige kommen aus Orten, die jahrhundertelang kolonisiert waren. Als sie nach Europa kamen, mussten sie klassisches Ballett und amerikanische Tanztechniken lernen. Niemand hinterfragt das, weil der Kolonialismus eben weitergeht. Unsere Performance ist also gerade nicht archaisch, sondern sehr zeitgenössisch.
Kann eine Performance die Welt verändern?
Nein. Aber indem wir alte und neue Formen mischen und auch die der Ex-Kolonisatoren und Kolonisierten gleichberechtigt zeigen, können wir die Wahrnehmung verschieben helfen.
Und warum tun Sie das im Museum statt auf Kampnagel?
Weil die Welt der Performing Arts und des Theaters eine sehr geschlossene ist. Ich wollte an einen öffentlicheren Ort, den nicht nur Theatergänger aufsuchen. InterviewPS
„Monument 0.4 Lores & Praxes (A Ritual of Transformation)“ als Teil des Internationalen Sommerfestivals Kampnagel: bis 20. 8., täglich 10.30–17.30 Uhr, Museum für Kunst und Gewerbe
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