Primärtugend Randständigkeit

AVANTGARDE Im Jugendfreizeitheim Friesenstraße gibt sich die internationale Pop-Avantgarde die Klinke in die Hand. Nächste Folge: Volcano The Bear und Nick Kuepfer

Den Ultravox-Schmachtfetzen „Vienna“ entschleimten Volcano The Bear einst gründlich, ohne dessen verborgene Schönheit zu zerstören

VON ANDREAS SCHNELL

Wenn es in Bremen einen Ort gibt, wo sich regelmäßig die Vorhut der Pop-Musik im weitesten Sinne die Ehre gibt, dann ist das das kleine Jugendfreizeitheim in der Friesenstraße. In der Vergangenheit waren dort Bands wie die Now-Wave-Legende Flying Luttenbacher, die Drone-Metal-Protagonisten Sunn O))) oder erst kürzlich Chain And The Gang zu Gast.

Für ein derart hochkarätiges Programm braucht es natürlich nicht nur ein feines Näschen, sondern auch eine ordentliche Portion Idealismus. Denn Geld verdienen lässt sich mit Konzerten kaum, die schon wegen der räumlichen Beschränkung kaum mehr als 100 Zuschauer haben.

Das Kollektiv, das unter dem Namen „Die chinesische Wäscherei“ für die experimentelle Seite des Friese-Programms zuständig ist, arbeitet ehrenamtlich: „Die Bands, die wir machen, würden ohne uns in Bremen nicht spielen“, heißt es. Und wenn es sonst niemand macht, muss man es eben selbst machen. „Das ist aber auch unser Vorteil“, findet Holger Lauster, einer der Aktivisten. „Deswegen können wir eben auch machen, was wir wollen.“

Am Samstag ist es wieder so weit. Mit Volcano The Bear steht in der Friese eine Band auf der kleinen Bühne, die laut Wire, der Bibel der Pop-Avantgarde, „einiges der besten, wildesten britischen Musik der letzten zehn Jahre produziert hat“.

Wie bei eigentlich jeder guten Musik ist nicht unbedingt leicht zu beschreiben, was bei Volcano The Bear zu hören ist. Die geheimnisvollen Residents werden häufig als Bezugsgröße genannt, die Kraut-Legende Faust, die Industrial-Pioniere Nurse With Wound, auf deren Label United Dairies sie auch schon veröffentlichten, die Avantgarde-Punk-Band Pere Ubu gelegentlich auch. Aber das ist nur der Ausgangspunkt. Von hier aus erkundet die mittlerweile als Duo agierende Band mit einem ausgedehnten Instrumenten-Park unkartiertes Gelände, Folk, Drones, Rock in Sicht- oder besser Hörweite, aber dort geht es generell eher zu laut zu, als dass Volcano The Bear von mehr als wenigen sensiblen Gemütern wahrgenommen würden. Randständigkeit – eine Primärtugend der Avantgarde, versteht sich. Die Briten kennen allerdings ihre Pop-Musik: Den Ultravox-Schmachtfetzen „Vienna“ entschleimten sie einst gründlich, ohne dessen verborgene Schönheit zu zerstören. Gegründet wurde die Band von Aaron Moore, Nick Mott, Clarence Manuelo und Daniel Padden1995 in britischen Leicester, theatralische Bühnenpräsenz und ungewöhnliche Aufnahmekonzepte prägten das Frühwerk, in den frühen 2000er Jahren war erst einmal Pause. 2006 ging es weiter, das jüngste Album „Golden Rhythm/Ink Music“ erschien im Frühjahr 2012 bei Rune Grammofon.

Zweite Attraktion des Abends ist der Kanadier Nick Kuepfer, der auf dem dieser Tage seinen 15. Geburtstag feiernden Label Constellation Records aus Montreal veröffentlicht. Der Gitarrist, der auch mit den Bands Hrsta und No Nature auftritt, verbindet Solo-Gitarren-Improvisationen mit Field Recordings und live aufgenommenen Tape-Loops.

■ Samstag, 21 Uhr, Die Friese, Friesenstr. 124