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Schöner Müll Das „Materiallager“ in Berlin ist ein Paradies für Bastler. Hier landet viel Neuwertiges, das bei Messen und Filmdrehs übrig bleibtSo viel Zeugs, das genutzt werden will

Keine Katalogware: Krims und Krams, kategorisch kategorisiert

Von Christina Spitzmüller (Text und Fotos)

Am liebsten würde ich mit Schere, Kleber und Werkzeugkasten hierherkommen und zwei Wochen nicht mehr rausgehen. Das „Materiallager“ in Berlin-Neukölln ist ein Paradies für Bastler und DIY-Liebhaber. Auf 80 Quadratmetern stapeln sich in hohen Regalen Holzstücke, Metall, Teppiche und Alu. So viel Zeugs, das genutzt werden will.

Mein Lieblingsregal ist das mit den Bastelutensilien: Eine Box mit gelben Jojos steht da, daneben eine mit kleinen Plastiktüten voller buntem Sand. Darüber, darunter und dazwischen alles Mögliche an Kleinkrams. Auf dem Boden liegen mehrere Meter dicker blaugrüner Röhren herum.

„Ich weiß nicht, was man dar­aus machen kann. Aber vielleicht kommt ja irgendwann jemand und braucht genau das“, sagt Sebastian Stragies. Er arbeitet für den Verein Kunst-Stoffe, leitet das Materiallager und erklärt, wieso es hier so viele gute Sachen gibt: Bei Messen und beim Film ist meist ein üppiges Budget für die Ausstattung vorhanden. Dort ist es egal, dass Materialien, die oft nur wenige Tage genutzt wurden, am Ende im Müll landen und verbrannt werden – für ihre Herstellung viel Energie verbraucht wurde.

Stragies findet das absurd. Deshalb sammeln Kooperationspartner, meist Messeveranstalter, Material, das wiederverwendet werden kann. Die Mitarbeiter von Kunst-Stoffe holen es dann ab. Stragies achtet darauf, nur Dinge anzunehmen, von denen er auch denkt, dass sie nachgefragt werden. „Wir sind ein Umschlagplatz, das Zeug soll bei uns nicht verstauben.“

Die Idee des Projekts: Materialflüsse sichtbar machen. Es geht um Ressourcenschonung und Umweltschutz, um Nachhaltigkeit und Müllvermeidung: Wer sich sein Bauholz im Materiallager besorgt, muss kein neues im Baumarkt kaufen. So wie der Student, der an diesem Dienstagnachmittag ins Materiallager kommt. Für sein neues WG-Zimmer braucht er Regale und eine Kleiderstange. Er sucht sich ein paar Holzplatten und -stangen zusammen, zahlt 10 Euro für sechs verschiedene Stücke.

Das Material im Lager ist nicht umsonst. Die Hälfte des geschätzten Neupreises verlangen die Mitarbeiter, wenn es sich um Neuware handelt, bei gebrauchten Dingen etwa 20 bis 30 Prozent. „Schließlich ist das kein Müll. Das ist gutes Material“, sagt Stragies. Das Geld geht drauf für die Miete, die Transporte und die Honorare der Mitarbeiter.

Das Material im Lager wird nicht umsonst abgegeben. Es ist schließlich auch nicht wertlos

Eine Onlineauflistung, was gerade auf Lager ist, gibt es nicht. „Wir sind halt kein Baumarkt und auch kein Onlineshop“, sagt Stragies. Die Menschen sollen sich mit der Materie auseinandersetzen. Nur wer vor Ort ist, sieht, welche Qualität die Dinge haben und ob sie sich auch wirklich für das geplante Projekt eignen.

Die Idee zur Wiederverwertung im Materiallager kommt aus New York: „Materials for the Arts“ heißt dort ein Zentrum, das Aussortiertes sammelt und an Künstler, Schulen und Nonprofit-Unternehmen abgibt. Nach diesem Vorbild startete 2006 das Projekt „Kunst-Stoffe Berlin“, zunächst mit einem Materiallager am S-Bahnhof Pankow. Inzwischen gibt es ähnliche Zentren in Basel, Hamburg, Paris und Wien.

Das Materiallager in Neukölln eröffnete im Mai vergangenen Jahres auf dem Gelände einer ehemaligen Brauerei. Hinter dem Lager liegt der LGBT-Club SchwuZ, oberhalb haben Künstler ihre Ateliers.

Als ich Stragies frage, warum er bei Kunst-Stoffe mitarbeitet, treffe ich einen Nerv. Er erzählt von einem Kapitalismus, der von der Substanz lebt statt von den Zinsen und jeden wahren Kapitalisten die Hände über dem Kopf zusammenschlagen ließe. Vom Earth Overshoot Day, der 2017 schon am 2. August war – dem Tag im Jahr, an dem die Menschheit so viele natürliche Ressourcen verbraucht hat, wie die Erde im Gesamtjahr erzeugen kann. Stragies dreht sich eine Zigarette und sinniert über die Wegwerfgesellschaft, in der wir leben.

„Natürlich ist das alles sehr klein, was wir machen“, gibt er zu. Stragies weiß, dass seine Arbeit vor allem idealistisch ist. Aber es sei ein Anfang. Er sieht das Materiallager als Teil einer Bewegung, die sich dafür einsetzt, die Welt wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. Er glaubt: Wer Gebrauchtes wiederverwendet, kommt heraus aus dem „immer neu, immer neu“. Man lernt den Wert der Dinge wieder schätzen: wie viel Arbeit und Energie darin steckt.

Erstklassig: Diese Fahne kostet nur 2 Euro

Irgendwann soll sich das Materiallager selbst tragen, für zwei Jahre ist das Projekt noch durch das Umweltbundesamt finanziert. Kunst-Stoffe hat neben den Materiallagern auch offene Werkstätten, Repair-Cafés und einen Lastenradverleih – damit die Kunden ihre Sachen auch ökologisch korrekt transportieren können. Die Mitarbeiter sprechen als Experten in Sachen Abfallvermeidung und Kreislaufwirtschaft auf Tagungen. Die Idee hinter alldem: Es braucht kein Geld, um nachhaltig und ökologisch zu leben.

Ich könnte vieles machen mit den Materialien von Kunst-Stoffe. Eine Mitarbeiterin schlägt mir vor, einen Couchtisch aus Holzplatten und Tischbeinen zu bauen, die frisch reingekommen sind. Jemand anderes meint, aus der riesigen Kiste Kronkorken könnte ich einen Küchenvorhang basteln.

Aber für beides habe ich gerade keinen Bedarf. Ich entscheide mich für eine etwa 1,20 mal 3 Meter große weiße Fahne. Eine riesige rote Eins ist drauf gedruckt, in der „First Class Games“ steht. 2 Euro zahle ich dafür.

Anleitung

1. Aus der Fahne lassen sich kleine Beutel nähen, in die Obst und Gemüse aus dem Supermarkt eingepackt werden können. Dafür zunächst die Fahne waschen und trocknen lassen.

Müllvermeider: Die kleinen Plastiktütchen bleiben unberührt in der Obstabteilung

2. Anschließend jeweils zu etwa 25 mal 35 Zentimeter großen Stoffstücken zuschneiden. Für andere Zwecke können auch größere und kleinere Stücke zugeschnitten werden.

3. Zwei gleich große Stücke an drei Seiten zusammennähen. Dann die Öffnung umschlagen und umnähen, sodass ein Tunnelzug für eine Kordel entsteht.

4. Kordel durchziehen. Jetzt lassen sich unverpacktes Obst und Gemüse auf dem Markt und im Supermarkt, aber auch Brot vom Bäcker ohne zusätzlichen Müll kaufen.

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