„Nun müssen die zumeist grünen Baustadträte in den Bezirken die Kastanien aus dem Feuer holen“

Das bleibt von der Woche Eine Studie des Mietervereins zeigt, wozu Wärmedämmung missbraucht wird, die Berliner Sozialdemokraten werden immer unbeliebter, es gibt Engpässe bei der Versorgung mit Cannabis als Arzneimittel – und Nachbesserungsbedarf, und der Tourismusboom hält an

Ökologische Verdrängung stoppen

Milieuschutz

Den meisten Eigen­tümern geht es bei Wärmedämmung nicht um die Umwelt

Vor einigen Jahren gab es einen interessanten Streit bei den Berliner Grünen. Es ging um Umwelt und Wohnen im allgemeinen und im besonderen um die energetische Sanierung. Der linke Flügel der Partei, beheimatet insbesondere in Friedrichshain-Kreuzberg, forderte eine sogenannte warmmietenneutrale Modernisierung ins Programm aufzunehmen. Der eher mittelständische Flügel, gerne auch in Pankow zu Hause, entgegnete, damit würde man die ambitionierten Klimaziele, allen voran einer Verringerung des CO2-Ausstoßes nicht schaffen.

Seit Dienstag steht das Thema Warmmietenneutralität wieder auf der Tagesordnung. Es besagt, dass ein Mieter nach einer energetischen Sanierung in etwa nur soviel mehr an Miete zahlen soll wie er bei den Energiekosten einspart.

Auf diese Forderung zu verzichten, das zeigt nun eine Studie des Berliner Mietervereins, war ein großer Fehler. Denn vor allem bei privaten Eigentümern schießen die Mieten nach einer Wärmedämmung ins Kraut. Mehr noch: Den meisten Eigentümern geht es gar nicht um die Umwelt, sondern darum die Mieterinnen und Mieter zu verdrängen und die Wohnungen anschließend teuerer zu vermieten oder zu verkaufen. Deshalb nehmen sie auch keine staatlichen Fördermittel in Anspruch.

Das alles wäre natürlich nicht unterbunden worden, wenn die Grünen die Forderung, dass die Mieter nicht mehr zahlen sollen als sie einsparen, in ihr Programm aufgenommen hätten. Schließlich ist Mietrecht Bundesangelegenheit. Aber es wäre ein Signal gewesen: Wir haben verstanden.

Nun müssen die zumeist grünen Baustadträte in den Bezirken die Kastanien aus dem Feuer holen. Müssen noch mehr Milieu­schutzgebiete ausweisen und noch restriktiver gegen Ökospekulation vorgehen. Möglich ist das, hoffentlich ist das auch gewollt. Denn nicht nur im linksgrünen Friedrichshain-Kreuzberg werden, das hat die Studie des Mietervereins gezeigt, Menschen durch energetische Sanierung verdrängt, sondern auch im grünbürgerlichen Pankow. Uwe Rada

Auch eine Entscheidung über Müller

Bundestagswahl

Müllers Landespartei ist dabei, unter die 20-Prozent-Marke zu rutschen

Seit Sonntag hängen die Plakate mit den Sprüchen und Gesichtern, sechs Wochen sind es noch bis zur Bundestagswahl am 24. September. Sechs Wochen, die der SPD noch bleiben, zu retten, was noch zu retten ist. Denn den Sozialdemokraten droht bei der Wahl der große Absturz, der Verlust auch ihrer letzten direkt gewonnenen Wahlkreise.

Es sind ja sowieso nur noch zwei von zwölf in Berlin, blamabel genug für Sozialdemokraten in der Stadt Willy Brandts, und auch die zwei direkt gewonnenen Wahlkreise sind nicht sicher. In Neukölln lag der SPD-Kandidat 2013 nur rund anderthalb Prozentpunkte vorn. In Mitte landete selbst Spitzenkandidatin Eva Högl wenig mehr als vier Prozentpunkte vor einem weithin unbekannten CDU-Bewerber – bundesweit gewann niemand in der SPD seinen Wahlkreis mit einem schwächeren Ergebnis. Dabei war die SPD 2013 anders als in diesem Jahr, in dem seit Mai die Christdemokraten auch in Umfragen zur Landespolitik führen, vor der Wahl auf Berliner Ebene beliebter.

Nüchtern betrachtet ist es zwar nur ein Prestigeschaden – über die Landesliste werden ja SPD-Bewerber in den Bundestag kommen. Aber Politik lebt von Emotionen, und eine Ergebniskarte der Wahlleiterin, in der CDU-Blau dominiert und sich Rot nur entfernt im Rosa der sicheren drei Linkspartei-Wahlkreise in Marzahn, Lichtenberg und Köpenick findet, das kann niemanden von der SPD kaltlassen.

Partei- und Regierungschef Michael Müller wird dann nicht alles mit dem SPD-Bundestrend und der unglücklichen Performance von Martin Schulz erklären können. Denn Müllers Landespartei ist selbst dabei, unter die 20-Prozent-Marke zu rutschen. Mehr noch als die Grünen wird sie dafür verantwortlich gemacht, dass es in der rot-rot-grünen Koalition weiter nicht rund läuft, während die Linkspartei sich verbesserte.

Die nächste Berlin-Wahl steht zwar erst 2021 an. Aber das gibt Müller keine Sicherheit, dass nach dem 24. September keiner seinen Rücktritt fordert. Denn mit dem gleichen Recht, mit dem Müller sagen kann, man habe ja noch vier Jahre Zeit sich zu verbessern, können seine Gegner argumentieren, dass genau diese Zeit lieber ein anderer an der Spitze bekommen sollte. Stefan Alberti

Es muss nach- gebessert werden

Cannabis auf Rezept

Die Politik muss den Krankenkassen Druck machen, diese Praxis zu ändern

Stellen Sie sich vor, Sie haben seit Wochen Einschlafprobleme. Der Arzt verschreibt Ihnen getrocknete Cannabisblüten mit indica-Anteil, also leicht sedierend wirkend. In der Apotheke legen Sie das Betäubungsmittelrezept vor und bekommen das Gewünschte. Der einzige Haken: Im Unterschied zum Schwarzmarkt, wo das Gramm Cannabis 8 bis 12 Euro kostet, liegt der Preis in der Apotheke bei 20 bis 24 Euro. Dafür ist die Qualität aber auch besser.

Nein, das ist keine Fiktion. Seit dem 10. März dieses Jahres können Ärzte Patienten Cannabis als Medikament verschreiben. Früher waren Kranken und Ärzten enorme Steine in den Weg gelegt. Ohne Ausnahmegenehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) konnte niemand Gras aus der Apotheke beziehen. Dass nur rund 1.000 zumeist Schwerkranke eine Ausnahmegenehmigung hatten, zeigt wie restriktiv das BfArM damit verfuhr.

Fünf Monate ist das neue Gesetz nun alt. Im Vergleich zu vorher bedeutet es einen Quantensprung. Das kann man nicht genug betonen. Aber es gibt Nachbesserungsbedarf: Die Krankenkasse stellen sich bei der Kostenübernahme des ärztlich verschriebenen Cannabis quer. Von rund 3.300 Anträgen auf Kostenübernahme, die bundesweit allein bei der AOK eingingen, ist bislang nur die Hälfte bewilligt worden. Unter den Abgewiesenen seien sogar Patienten mit einer Ausnahmegenehmigung des BfArM, klagen Selbsthilfegruppen.

Patienten mit Geld besorgen sich Cannabis auf Rezept in der Apotheke ganz einfach auf Selbstzahlerbasis. Was aber ist mit den chronisch Kranken, die sich finanziell auch so schon kaum über Wasser halten können? Den durchschnittlichen Tagesbedarf von ein bis zwei Gramm Cannabis können sie unmöglich aus eigener Tasche abdecken. Der Weg zum Medikament ist ihnen damit versperrt.

Die Politik muss dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) Druck machen, diese Praxis zu ändern. Auch die Preise gilt es unter Einbeziehung des Deutschen Apothekerverbands nach unten zu korrigieren.

Sind Sie auch dafür? Das können Sie ganz einfach zeigen. Beteiligen sich am Samstag mit der entsprechenden Forderung an der Hanfparade. Cannabis als Medizin steht da im Fokus. Schließlich ist Wahlkampf.

Plutonia Plarre

Disneyländer mitten in Berlin

Tourismus-Boom

Tourismus schafft Jobs – aber vor allem im alleruntersten Lohnbereich

Mehr, mehr, mehr: mehr TouristInnen, mehr Übernachtungen, mehr Flüge nach Berlin. Das möchte jedenfalls Burkhard Kieker, Geschäftsführer von VisitBerlin und oberster Touristenwerber der Stadt. Die Zahlen sind auch im vergangenen Jahr wieder gestiegen, verkündete das Unternehmen auf einer Bilanzpressekonferenz am Donnerstag: 31 Millionen Übernachtungen in Hotels und geschätzt 33 Millionen auf privaten Schlafsofas gab es in Berlin 2016, ein Plus von 1,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 44 Prozent der Besucher kommen aktuellen Zahlen zufolge aus dem Ausland – auch das ein wachsender Anteil. Deshalb ist Kieker für die Fertigstellung des Schönefelder Flughafens BER mit „Drehkreuzfunktion für Langstreckenflieger“ – nur so können noch mehr Touristen aus noch mehr Ländern in die deutsche Hauptstadt kommen.

Die Klagen über die wachsende Zahl von Touristen sind bekannt und sollen hier nicht wiederholt werden. Und ganz ehrlich: Sind wir BerlinerInnen bei allem Ärger über Rollkoffer und unerfahrene Radfahrer nicht auch ein bisschen stolz über den Hype über diese unsere coolste Stadt der Welt?

Und der bringt ja auch vielen Einheimischen Vorteile: Es entstehen Arbeitsplätze, etwa im Hotelgewerbe, in der Gastronomie, in der Reinigungsbranche, im Transportwesen. Viele davon allerdings im alleruntersten Einkommensbereich.

Und da liegt der Hase im Pfeffer: Statt uns BerlinerInnen vor ratternden Rollkoffern zu beschützen, sollte die Politik lieber im Auge haben, dass in einer sich zur internationalen Metropole entwickelnden Stadt auch die Löhne den damit verbundenen Standards angepasst werden müssen. Schon jetzt können sich die Kellnerinnen, die den Touristen Kaffee servieren, die Gebäudereiniger, die deren Hotelfenster putzen, sich das Wohnen in der Superdestination Berlin kaum noch leisten.

Sie fürchte, dass das wieder aufgebaute Schloss im Herzen Berlins durch das Restaurant, das auf dessen Dach eröffnet werden soll, „ins Disneyhafte kippt“, sagte ebenfalls am Donnerstag Senatsbaudirektorin Regula Lüscher.

Zu spät gemerkt: An vielen Orten in der Stadt ist das längst passiert. Eingeborene sind dort nur noch Personal oder StatistInnen, die nach getaner Arbeit in ihre Wohnungen außerhalb der Hotspots zurückkehren. Das Wohnen dort findet – etwa um den Potsdamer Platz – nur noch für Superreiche oder eben in Hotels statt. Disneyländer entstehen so längst. Mitten in Berlin. Alke Wierth