LeserInnenbriefe
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Neue Mädchen braucht das Land

betr.: „Der ewige Vorwurf ist absurd“, taz vom 4. 8. 17

Einspruch: Der ewige Vorwurf ist nicht absurd. Silvia Isla-Salazar, die Chefredakteurin von Mädchen, will damit wohl die Behauptung zurückweisen, dass geschlechtsspezifische Verhaltensmuster und Rollenerwartungen gemacht seien, das heißt also, man müsse sie als naturgegeben annehmen. Dem ist entschieden zu widersprechen. Nicht zuletzt Jugendmagazine wie Bravo Girl oder eben Mädchen sind es, die pubertierende Mädchen mit einem bestimmten Frauenbild traktieren, unter der Vorgabe, dass sie ihre Leserinnen mit den Tipps versorgen, nach denen sie sich sehnen. Sie liefern weiblichen Jugendliche alles, womit sie ihre Wirkung optimieren können (man beachte die Terminologie): Trendiges Make-up, verlockende Haarfrisuren, Trendy Crome Nails, Freaky Denims, Star-Trend-Chokers, Fitness-Coaching … Letzteres übernimmt für Mädchen die momentan angesagteste Fitness-Bloggerin Sophia Thiel mit den „30 besten Styling Tricks für deine absolute Traumfigur“. Und zwar über fünf Hefte hinweg. Dem Vorwurf der taz-Interviewerin, der Terminus impliziere, dass es auch nicht traumhafte, also abnorme und nicht trendige Figuren gebe, begegnet Silvia Isla-Salazar mit dem Hinweis, dass ja das vor die Traumfigur gesetzte Adjektiv subjektive Interpretationen zulasse. Ist das bloß blauäugig oder schon perfide? Die Zeitschrift präsentiert jedenfalls die deutsche Fitness-Queen, die mehr als eine Million Followers hinter sich weiß, über jeweils vier Seiten hinweg mit ihrem Traumbody, den sie sich in zweijährigem Workout, so der positiv gesetzte Terminus, abgehungert hat. Die vielen sogenannten Mädels im Model-Look, die man in den Heften findet, gleichen ihr in Körperlichkeit, Mimik und Gestik beinahe aufs Haar. Man kann ein derart penetrantes Traumbild nicht mehr harmlos finden angesichts der Gewissheit, dass die allermeisten dieses Level nie erreichen werden. Hoffentlich wollen viele es auch nicht. Aber manche der Gescheiterten werden sich lange Zeit, wenn nicht gar ein Leben lang mit Magersucht oder Essstörungen herumplagen müssen. Ein leidgeplagter Vater, der weiß, wovon er spricht.

ROMIN HESS, Simmelsdorf

Die Macht der lässigen Hand

betr.: „Staat, Markt und Macht der Konzerne“, taz vom 8. 8. 17

Ein gelungenes Foto mit einer tollen Körpersprache, vor allem zwischen Gewerkschaft und dem Vorstandsvorsitzenden Müller – man beachte die lässige Müller-Hand und die stramme Hand an der Naht der Gewerkschaft. Und den Blick der beiden: „Sag bloß nix Falsches.“ „Jawohl, Herr General.“ MAGNUS BOPP, Ulm

Der Andere ist immer der Feind

betr.: „Kriege sind nicht zu vermeiden“, taz vom 8. 8. 17

Als ehemaliger Student des Althistorikers Egon Flaig habe ich mich sehr über die Rezension seines neuen Werkes „Die Niederlage der politischen Vernunft“ gefreut. Entgegen vieler Rezen­sio­nen, die seine Wortgewandtheit, seine Abneigung gegenüber postkolonialen Ideen und vehemente „Verteidigung“ abendländischer Werte loben, weist die taz zu Recht darauf hin, dass Flaigs Postulat einer homogenen Gesellschaft „nicht ohne Gesinnungsprüfung, Repression oder Folter“ gewährleistet werden kann. Auf 400 Seiten unterbreitet Flaig ein abendländisches Verständnis, das er bis vor wenigen Jahren in fast jeder Vorlesung in Rostock erläuterte: Wir gegen die, Europäer*innen gegen Eindringlinge, Spartiaten gegen Perser etc. In der Konsequenz offenbart sich Flaigs abendländisches Gesellschaftsbild nur durch die Festschreibung des Anderen als potenzieller Feind; dadurch wird der Ausnahmezustand zum Normalzustand erklärt. Eine Erklärung, was denn nun vermeintlich unsere Werte seien, bliebt Flaig den Le­ser*innen schuldig. Vielleicht interessiert es viele ja gar nicht, dass man nun einen Althistoriker parat hat, der erklären kann, dass schon in der Antike der Orient der Kultur vernichtende Feind gewesen sei. #FlaigGönntSichAfD.

FRIEDRICH GOTTSCHEWSKI, Rostock

Märchenstunde mit AfD

betr.: „Ziemlich dämliche Idee“, taz vom 3. 8. 17

… oder vielleicht doch nicht so dämlich? Da werden alle gewählten VolksvertreterInnen verschiedener Ebenen zum Vorlesetag eingeladen. Da sind dann auch solche von der AfD dabei. Potenzielle Gastgeber müssen diese Leute nicht einladen, könnten sie aber, vielleicht sollten sie sogar. Sie werden nette, kindgerechte Texte vorlesen. „Mama, du hast dich doch so aufgeregt über den, aber das war doch ganz toll, was der vorgelesen hat …“ Mama steht auf, möchte den Vorlesetag mit einem eigenen Beitrag ergänzen; der Rollentausch ist nach kurzer Diskussion vollzogen. Mama (sorry, kann auch Papa oder sonst wer sein) sitzt nun vorn und zitiert Texte, die „dieser nette Mensch“ in anderen Zusammenhängen von sich gegeben hat. Kind lernt, dass es immer mehrere Seiten einer Persönlichkeit gibt. Wer will, kann dabei auch an Hannah Arendt erinnern. Dafür müsste „Kind“ aber noch etwas älter werden … RAINER NÖLKEN, Wittmund

Der Feind in den eigenen Reihen

betr.: „Die größte Verliererin“, taz vom 8. 8. 17

Neuwahlen in Niedersachsen durch eine Überläuferin, die für eine weitere, nachhaltige Politikverdrossenheit sorgen wird. Dazu vermutlich ein unmoralisches christlich-undemokratisches Angebot für das Europaparlament. Aber sind nicht auch die Verräter irgendwann selbst denen verhasst, deren Sache sie dienen wollen? GERD JÜTTNER, Leinfelden