: Affe Milandu und der Weltraumelefant
OBJEKTKUNST Endlich stehen die Tiere still, damit man sie beobachten kann: „Le Zoo de Madame Y“ in der Galerie Benhadj-Djilali
Vor. Und zurück. Vor. Und zurück. Wieder vor – ich kann mich sehen! Und zurück. Ich werde kleiner. Im Augenwinkel sehe ich Käfer an der Wand. Ich drehe mich. Nein, mein Spiegelbild dreht sich.
Ich sitze auf einer übergroßen Vogelschaukel in der Galerie Benhadj & Djilali und schaukele. Vor mir: Ein sich drehender runder Spiegel. Beides designt von Ina Sangenstedt, beides hängt von der Decke. Es fühlt sich nach Perspektivwechsel an, mit mindestens 20 Umdrehungen pro Minute. Die 336 Käfer an der Wand sind auch von ihr, alles vergangene Arten. Im anderen Raum hängen noch Fische im gleichen Stil, alle aus Mecklenburg-Vorpommern. „Ausgestorben – eingebürgert“ nennt sie die Serie. In einem aufwendigen Verfahren hat die Wahlberlinerin sie mit Aceton wieder zum Leben erweckt. Mittendrin hängt ein Holztisch an der Wand, alle viere von sich gestreckt. Der eine sieht einen Skarabäus darin, die andere ein Wildschwein. Klingt unglaublich? Ist es auch. Wer weiß, was man noch alles in einem Tisch sehen kann.
Die Galeristin Yasmine Benhadj-Djilali hat unter dem Titel „Le Zoo de Madame Y“ tierische Stücke von 23 Künstlern und Designern zusammengestellt. Famose Fotografien von Alfred Steffen zeigen Affen und Esel, drei Brandenburger Vogelstrauße sind auch dabei. Affe Milandu träumt dabei vor sich hin, vereint in seinen Gesichtszügen sämtliche Facetten des menschlichen Lebenszyklus. Esel Giovanni wirkt zumindest fotogener als seine Artgenossen Rasmus, Pablo und Gonzo. Berliner Ratten und die Skelette der Hunde von Paris Hilton und Lady Gaga aus Porzellan sind goldverziert zu bewundern. Darf man Promi-Hunde und Ratten eigentlich im selben Satz nennen? Deren frappierende Ähnlichkeit ist in den Werken jedenfalls nicht wirklich erkennbar – sie alle glänzen.
Der Produktdesigner Nils Fischer stellt eine minimalistische Garderobe aus der Serie „Antifragilität“ aus und freut sich, genau wie ich, dass es in der Galerie Kunst zum Anfassen gibt. Nicht-Anfassen-Schilder haben immer etwas Herausforderndes, das kennt man aus dem Zoo. Passend dazu die Ironie des Unikats von Andrea Salvatori: ein Elefant aus Porzellan. Umgeben von bunten Kugeln, die ihm irgendwie Welträumliches verleihen.
Dieser Zoobesuch schwingt sich zum besten seit langer Zeit auf. Man ist umgeben von Tieren, die endlich mal stillstehen, damit man sie genau beobachten kann. Und es stinkt nicht.
Dank fehlender Käfige fühlt man sich hier auch nicht gefangen, viel mehr irgendwo zwischen einem Urwald längst vergangener Tage und kosmischer Unendlichkeit einer fernen Zukunft. Jann-Luca Zinser
„Le Zoo de Madame Y“: Galerie Benhadj & Djilali, Torstraße 170, bis 9. September
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen