DVDESK
: Der Weltuntergang ist auch nur ein Event wie jedes andere

„4:44 Last Day on Earth“ (Abel Ferrara, 2011)

Die Welt geht unter, noch in dieser Nacht. Auf die Minute genau ist der Zeitpunkt bekannt: 4:44 Eastern Standard Time in New York. Die US-Metropole ist der von Abel Ferrara für seinen jüngsten Spielfilm gewählte Schauplatz der finalen Momente der Erde. In Wahrheit ist der Fokus aber noch sehr viel enger, denn weite Teile des Films sind nach Art eines Kammerspiels auf ein Künstlerloft in der Lower East Side konzentriert. Zwei letzte Menschen darin: Der Schauspieler Cisco (Willem Dafoe) und die sehr viel jüngere Künstlerin Skye (Shanyn Leigh). In ihrem Loft sehen die beiden fern, dort skypen sie ein letztes Mal mit Tochter, Mutter (Anita Pallenberg), Exfrau, dort haben sie ein letztes Mal Streit und zwei letzte Male noch Sex.

Es ist ein Kammerspiel mit offenen Türen und Fenstern. Zum einen buchstäblich: Eine Tür geht hinaus auf eine Terrasse über den Straßen New Yorks. Durch sie dringt der Stadtsound stetig nach innen, der Autoverkehr, der so wenig zum Erliegen gekommen ist wie viele andere Dinge im normalen Leben der Menschen. Einmal freilich tritt Cisco nach draußen, da stürzt sich vom Haus nebenan einer nach unten. Aber auch der Loftinnenraum ist mit dem Weltaußenraum stetig verbunden. Die Skypeleitungen sind noch offen, auch für den chinesischen Jungen vom Delivery Service, der ein letztes Mal mit der Familie am andern Ende der Welt kommuniziert.

Al Gore lag richtig

Auf dem einen Bildschirm noch Fernsehen, die ganze Zeit, auf einem anderen Bildschirm ein buddhistischer Guru, der einem erklärt, dass man die Sache mit den Körpern nicht zu ernst nehmen soll. Irgendwann ist auch der Dalai Lama zu hören, der Erwartbares sagt. Ein Nachrichtensprecher verabschiedet sich aus dem Live-Programm und geht jetzt nach Hause, man sieht ein Interview mit Al Gore, der es schon immer gewusst hat: Al Gore was right, es ist etwas mit der Ozonschicht, genauer erfährt man nicht, was den Exitus der Menschheit herbeiführen wird in dieser Nacht. Das Ende nähert sich als gelb-grünlicher Nebel und nach Youtubebilder-Montagen von Prozessionen, ganz am Schluss gibt es nur noch Großaufnahmen der aneinander geschmiegten Gesichter von Cisco und Skye, dann Weißblende, Licht.

Es wird kein Apfelbäumchen gepflanzt, allerdings hat Cisco eine Vision, in der er stattdessen einen Baum fällt. Weil man Abschied per Skype nimmt und den Mac hinterher zuklappt, leuchtet da immerhin ein angebissener Apfel. Skye dript und malt und trocknet per Ventilator ein Bild auf dem Boden, viel Schwarz, am Ende ein Drachen: Es soll noch fertig werden. Gegen Ende sind christliche Motive, Seelenlichter, Jesusstatuen zu sehen, vor allem aber gibt es improvisiert wirkende, teils durchaus nervige Monologe, Dialoge und Szenen.

Einmal geht Cisco nach draußen, steigt bei Freunden durchs Fenster, besorgt sich Drogen, er ist, erfährt man, ein Exjunkie. Viel folgt daraus nicht, auf Countdownmomente verzichtet Ferrara bewusst, die Zeit des Films bleibt amoroph.

Das Ende der Welt hat auch bei halbwegs durchgehaltener Einheit von Raum, Zeit und Handlung keine Plotpoint- oder Dreiaktstruktur. Und wenn „4:44 Last Day on Earth“ eine Pointe hat, dann ist es die, dass die kollektive Apokalypse für die Menschheit letzten Endes ein Ereignis wie fast jedes andere ist. Man macht einfach weiter. Bis Schluss ist.

EKKEHARD KNÖRER

■ Der Film ist ab rund 11 Euro im Handel erhältlich