Politik in einem gespaltenen Land

KOMPROMISSE Präsident Obama muss auch künftig gegen eine Oppositionsmehrheit im Repräsentantenhaus regieren. Hier ein paar Beispiele

Steuerklippe Schuldenfalle

Noch in diesem Jahr müssen sich die Regierung und die Abgeordneten des Kongresses auf Kompromisse einigen, um nicht über die sogenannte Fiscal Cliff (Steuerklippe) zu fallen. Damit werden die Mechanismen bezeichnet, die am 1. Januar 2013 in Kraft treten, wenn nichts passiert.

Die noch unter George W. Bush verabschiedeten und seither mehrfach verlängerten Steuersenkungen laufen am 31. Dezember aus. Präsident Obama will sie beibehalten – aber nur für jene, die weniger als 250.000 US-Dollar im Jahr verdienen. Er hat angekündigt, jeden Gesetzesvorschlag des Kongresses per Veto zu stoppen, der die Steuergeschenke an die Reichen fortsetzt. Gibt es keine Einigung, zahlen alle wieder mehr Steuern. Das will im Prinzip niemand. Aber auch die Republikaner geben sich unversöhnlich – sie wollen das Gesamtpaket erhalten.

Ebenso zum Jahresende läuft eine 2010 verabschiedete zweiprozentige Lohnsteuersenkung aus. Davon profitierten jene Bürger, die so wenig verdienen, dass sie keine Einkommensteuern zahlen müssen – das heißt just jener Teil der Bevölkerung, dem die noch unter Bush durchgesetzten Steuersenkungen nicht zugutekamen. Gibt es keine Einigung, zahlen auch sie wieder mehr Steuern.

Zum Ende des Jahres laufen zudem eine Reihe staatlicher Arbeitslosenprogramme aus. Sie gewähren Erwerbslosen auch nach dem Ablauf der 26 Wochen dauernden Arbeitslosenhilfe eine Grundversorgung. Die Demokraten wollen das verlängern.

Darüber hinaus wird der Haushalt für das kommende Jahr automatisch um 1,2 Billionen Dollar gekürzt. Auf diesen Schnitt hatte man sich Anfang August geeinigt, um auf die überparteiliche Steuer- und Haushaltsreformkommission ausreichend Kompromissdruck aufzubauen – was aber bislang nichts half. Diese Einsparungen würden alle Bereiche betreffen, von Sozialprogrammen bis Verteidigungsausgaben. Auch das will niemand.

Sollten all diese Spargesetze in Kraft treten und zugleich die Hilfen für Geringerverdienende und Arbeitslose auslaufen, dürfte sich das Defizit 2013 stark verringern. Es würde der Wirtschaft aber auch einen herben Schlag versetzen.

Das ist aber nicht alles: Ebenfalls gegen Ende des Jahres dürften die USA wieder einmal die festgelegte Verschuldungsobergrenze erreicht haben, auch wenn das Finanzministerium sagt, die Regierung könne wohl noch bis Februar/März ihre Rechnungen bezahlen.

Beim letzten Mal haben die Republikaner die notwendige Abstimmung zur Erhöhung der Obergrenze dazu genutzt, beinhart zu verhandeln, bis kurz vor den Staatsbankrott. Auch darüber muss nun eine Einigung her. All das, wie beschrieben, noch in diesem Jahr. Womöglich verständigen sich Obama und der Kongress auf provisorische Regelungen und vertagen weitergehende Entscheidungen auf das nächste Jahr – die Zeit nach der Amtseinführung. BERND PICKERT

Oberste RichterInnen

In den USA wählt der Präsident die RichterInnen des Obersten Gerichtshofs aus, der Kongress muss sie bestätigen.

Die neun RichterInnen sind auf Lebenszeit ernannt, sodass jede Nominierung in der Regel weit über die Amtszeit des Präsidenten hinausreicht. Von den derzeitigen TopjuristInnen wurden zwei von Ronald Reagan, zwei von Bill Clinton, zwei von George W. Bush, zwei von Barack Obama ernannt, einen ernannte George Bush sr. Angesichts des Alters der Richter – die liberale Ruth Bader Ginsburg wird nächstes Jahr 80, die Konservativen Antonin Scalia und Anthony Kennedy werden 77 – wird allgemein erwartet, dass mindestens eine Neunominierung in die Amtszeit des nächsten Präsidenten fällt. Die Mehrheitsverhältnisse sind wichtig: Von Homoehe bis Gesundheitsreform haben die Richter immer wieder über grundlegende und ideologisch heiß umstrittene Fragen zu entscheiden. BERND PICKERT

Kampf um Gesundheit

2014 treten die Bestimmungen der in der ersten Hälfte von Obamas erster Amtszeit verabschiedeten Gesundheitsreform voll in Kraft – und genau das wollen die oppositionellen Republikaner verhindern. Der Affordable Healthcare Act, wie die Reform offiziell heißt, ist ein Gesetz, das der Kongress verabschiedet hat, und nur er kann dieses Gesetz auch zurücknehmen.

Um das aber hinzubekommen, müssten die Republikaner im Senat eine Mehrheit von mindestens 60 der 100 Senatoren zusammenbringen – und das erscheint aussichtslos. Je nachdem, wie weit die Republikaner den Kampf allerdings tragen wollen, haben sie verschiedene Möglichkeiten, es dennoch zu versuchen: Sie können etwa die Abschaffung von Obamacare an Beschlüsse knüpfen, die der Kongress unbedingt verabschieden muss (z. B. die Erhöhung der zulässigen Schuldenobergrenze). Oder: Das für die Finanzen zuständige Repräsentantenhaus verweigert schlicht die Mittelfreigabe. Die Republikaner könnten zudem jegliche Abstimmung im Senat per Sperrminorität unterbinden, bis die Abschaffung beschlossen ist. Für Obama hieße dies, dass nahezu jegliches Regieren unmöglich würde. Aber auch die Republikaner hätten einen hohen politischen Preis zu bezahlen – zumal die Reform spätestens ab 2014, wenn sie voll in Kraft tritt, in der Bevölkerung noch populärer werden dürfte.

BERND PICKERT

Kriege und neue Krisen

In seiner ersten Amtszeit beendete Barack Obama den US-Kampfeinsatz im Irak – in seiner zweiten ist der in Afghanistan an der Reihe. Die Frist dafür ist Ende 2014. Ob dann noch US-Kampftruppen am Hindukusch stationiert bleiben oder nicht, dürfte bis dahin umstritten bleiben, zumal die Entwicklung innerhalb Afghanistans keineswegs rosig ist. Obama hatte 2009 mit einem umstrittenen „surge“, nach dem Muster seines Vorgängers George W. Bush im Irak, 30.000 zusätzliche Truppen nach Afghanistan geschickt, um die Taliban niederzukämpfen. Diese Zusatztruppen wurden bis September 2012 alle wieder abgezogen, aber die Taliban sind noch ebenso stark wie zuvor. 68.000 US-amerikanische Kampftruppen stehen jetzt noch in Afghanistan.

Die umstrittene Politik, radikale Islamisten weltweit lieber mit unbemannten Drohnen anzugreifen statt mit Bodentruppen, dürfte sich fortsetzen. Nach Pakistan, Jemen und Somalia könnten auch neue Islamistenhochburgen wie Mali Zielscheibe solcher Operationen werden.

An Bedeutung gewinnen dürfte die Wahrnehmung, dass die größte Bedrohung der Sicherheit der USA in der eigenen Hemisphäre liegt – im blutigen Krieg der Drogenkartelle in Mexiko, der zunehmend auch US-Staatsgebiet erreicht. Die strategische Bedeutung des Nahen Ostens hingegen nimmt ab. Obama hat es sich explizit zum Ziel gesetzt, die Abhängigkeit der USA von „ausländischem Öl“ zu beenden.

Eine stärkere Erschließung nordamerikanischer Energiequellen und ein Zurückfahren der Ölimporte aus dem Nahen Osten und aus Afrika würden die strategischen Interessen der USA entscheidend verändern. Deshalb und auch wegen der Haushaltszwänge sind neue Militäreinsätze unwahrscheinlich. Wichtiger ist es, einfach Flagge zu zeigen, etwa durch eine stärkere Betonung der transpazifischen Beziehungen, auch wenn das auf Kosten der transatlantischen geht, beispielsweise mit einer stärkeren US-Militärpräsenz im Westpazifik vor China.

DOMINIC JOHNSON

Streit über Einwanderer

Noch als Kandidat hatte Barack Obama 2008 versprochen, eine Reform der Migrationsgesetze anzustreben, die den schätzungsweise 12 Millionen ohne gültige Aufenthaltspapiere im Land lebenden Migranten einen Weg in die Legalität eröffnet.

Den Vorschlag gibt es seit einem Jahrzehnt, aber auch George W. Bush, der ihn unterstützte, scheiterte seinerzeit an seinen eigenen Republikanern im Kongress. Unter Obama wurde zwar jener Teil umgesetzt, den er, um die Republikaner zu beruhigen, auch versprochen hatte – die mexikanische Grenze wird wesentlich stärker kontrolliert, und mehr Menschen denn je wurden abgeschoben –, aber die erhoffte Reform blieb aus.

Nur wenige Monate vor der Wahl dekretierte Präsident Obama in Umgehung des Kongresses einen Teilschritt: Junge Menschen, die als Kinder „illegaler“ Migranten in die USA gekommen sind, dort zur Schule gehen oder beim Militär waren und sich nichts haben zuschulden kommen lassen, konnten seither eine Legalisierung ihres Aufenthaltsstatus beantragen – das waren rechnerisch rund eine Million Menschen.

Obama hat sein Versprechen an die lateinamerikanischstämmigen WählerInnen in diesem Wahlkampf erneuert und steht unter Erfolgsdruck, aber auch die Republikaner sehen sich gezwungen, angesichts einer ständig wachsenden hispanischen Wählerschicht ihre Position zu überdenken. Etliche konservative Abgeordnete und Senatoren allerdings haben in ihren Wahlkreisen explizit mit einer harten Haltung gegen „Illegale“ gepunktet – ob es möglich wird, in dieser Sache Fortschritte zu erzielen, dürfte stark von der republikanischen Partei- und Kongressführung abhängen. BERND PICKERT