Auf der Glatze Dreadlocks drehen

Die gesamte Grünenspitze hält Jamaika – eine Koalition mit Union und FDP – für unrealistisch. Also warten Fischer, Roth und Co weiter ab

VON ULRIKE WINKELMANN

Je länger Joschka Fischer redete, desto wunderlicher wurden die Anforderungen, die er an die Union stellte, falls sie mit den Grünen über eine „Jamaika“-Koalition reden wolle. „Wenn die dann mit Dreadlocks und allem anderen ankommen, wäre ich doch sehr verunsichert. Sonst nicht.“

Unter „allem anderen“ war gestern zu verstehen, was sich der Noch-Außenminister unter einer „Jamaika“-Koalition vorstellt: nicht nur Dreadlocks, sondern „Tüte in der Hand, Rauchschwaden in der Luft“. Der Rest war Kichern.

Jamaika ist eine Karibik-Insel, die nicht nur für ihre kulturellen Eigenarten, sondern auch für ihre schwarz-gelb-grüne Flagge bekannt ist. Wegen dieser Farben wurde ein Regierungsbündnis aus CDU/CSU, FDP und Grünen in der Wahlnacht von „Schwampel“ (schwarze Ampel) in „Jamaika“-Koalition umbenannt.

Doch scheint nach dem für alle, auch die Grünen, überraschenden Wahlergebnis zwar vieles, nicht aber alles möglich. Die gesamte Grünenspitze erklärte gestern, sie wolle mit der Union gerne reden. Aber „die Grünen können nicht so tun, als wüssten wir nicht, wo wir stehen“, sagte Fischer. Schließlich hätten sie ihr relativ gutes 8,1-Prozent-Ergebnis dank ihrer Inhalte eingefahren. Welche Parteichefin Claudia Roth ausführte: „Über den Ausstieg aus der Atomenergie, über die Türkei in der EU können wir gerne immer reden“ – aber ohne Aussicht auf Einigung.

Der einzige Grüne mit Direktmandat, Christian Ströbele aus Berlin-Kreuzberg, erklärte der taz: „In allen inhaltlichen Fragen passt das nicht. Das ist keine Jamaika-Koalition, sondern ein Bermudadreieck. Da würden die Grünen untergehen.“ Niemand bei den Grünen will ernsthaft das „grüne Gedöns bei einem schwarz-gelben marktradikalen Durchmarsch sein“, sagte auch Fraktionschefin Krista Sager der taz. Sie hielt sämtliche „Jamaika“-Angebote der Union gestern für „reine Ablenkungsmanöver“.

Die Union habe das Problem, ihre Kandidatin Angela Merkel „nicht fallen lassen zu können wie eine heiße Kartoffel“. Neuwahlen seien derzeit aber auch keine gute Option. Weil nun also Union und SPD in der Kanzlerfrage „verkeilt“ seien, die FDP auch alle Gespräche über eine rot-grün-gelbe Ampelkoalition ausschließe, kann sich Sager „im Augenblick gar nichts vorstellen“.

Eines jedoch stellte Fischer klar: „Kanzler wird, wer die Kanzlermehrheit bekommt. Merkel bekommt keine Mehrheit im Bundestag.“ Somit setzen die Grünen eben doch auf eine Ampel oder eine große Koalition unter Gerhard Schröder. Oder auf was auch immer. Sie müssen einfach so lange alles offen halten, wie sich die „Großen“ balgen.

Eine „Jamaika“-Koalition halten sie als Gesprächsthema schon deshalb warm, um Richtung Union und Bevölkerung zu signalisieren, dass sie auch eine Identität jenseits von Rot-Grün besitzen. Eine Ampelkoalition schließen sie allein schon deshalb nicht aus, weil sie sich von Gerhard Schröder und der SPD nicht vorwerfen lassen wollen, schuld an seinem und dem rot-grünen Untergang zu sein.

Und sollten sie nach allem also doch noch mit 51 Sitzen für 29 Frauen und 22 Männer kleinste Oppositionspartei werden, so „sagt die Größe der Fraktion noch nichts über die Qualität der Arbeit aus“, erklärte Sager.

Auch die Spitzengrünen ließen es sich gestern nicht nehmen, den Medien und Demoskopen nach Monaten der Fehlvermutungen über das zu erwartende Wahlergebnis einen Tritt mitzugeben. Das grüne Ergebnis zeige, dass es sich lohne, „gegen den Trend zu kämpfen“, sagte Roth. Die Grünen hätten im gesamten Osten zugelegt, und der Zustrom junger Wähler widerlege auch die These von den Grünen als „Ein-Generationen-Partei“.

Fischer sagte, „das politische Berlin ist eben nicht die ganze Republik“. Und weil das politische Berlin so lange so überzeugt war, dass Merkel Kanzlerin wird, was „bei 40-jährigen Frühaufsteigern für zunehmende Begeisterung“ und dafür gesorgt habe, dass diese „Büroleiter und Chefredakteure selbst Politik machen wollten“, halte er „selbstkritische Reflexion“ seitens der Medien nicht für ganz falsch.