Zehn Fragen zur Wahl

Verwirrung nach den Neuwahlen. Wer ist jetzt eigentlich Wahlsieger? Antworten auf wichtige Fragen

VON CHRISTIAN FÜLLER
UND BARBARA DRIBBUSCH

1. Wer hat die Wahl eigentlich gewonnen?

Im Moment liegt die Union mit 35,2 Prozent knapp vor der SPD. Die Sozialdemokraten zählen allerdings anders, um einen Anspruch auf die Regierungsbildung abzuleiten. Die SPD sieht sich also mit 34,3 Prozent als stärkste Partei, dann folgen der Stärke nach: CDU 27,8 Prozent, FDP, Linkspartei, Grüne und schließlich CSU mit 7,4 Prozent.

2. Kann Dresden das Ergebnis noch beeinflussen?

Die verschobene Wahl im Wahlkreis 160 (Dresden I) kann die Mehrheitsverhältnisse de facto nicht mehr verändern. Dass die SPD die stärkste Fraktion im Bundestag wird, gilt aber als unwahrscheinlich. Im Bundestag liegt die CDU/CSU mit 225 Sitzen derzeit vor der SPD mit 222. In Dresden kann sich am 2. Oktober das Ergebnis um bis zu drei Mandate verschieben. Die Union bliebe stärkste Fraktion im Bundestag.

3. Beginnt der Bundestag mit der Arbeit?

Ja, er muss seine Arbeit bis spätestens 18. Oktober aufnehmen. Üblicherweise wird in der konstituierenden Sitzung gleich der Kanzler gewählt. Wenn dies noch nicht geht, kann auch weiterhin nach Mehrheiten geforscht werden. Bereits heute will sich Angela Merkel übrigens von der neuen CDU/CSU-Fraktion zur Fraktionschefin wählen lassen. Offenbar will die angeschlagene Kandidatin den Rückhalt in der eigenen Fraktion testen.

4. Wer bildet die Regierung?

Union und SPD erheben beide trotzig Anspruch darauf, den/die KanzlerIn zu stellen. Wer als RegierungschefIn aus dem Rennen geht, wird Ergebnis der Sondierungen sein, die ab sofort beginnen. Tatsächlich findet nun das große Machtpokern statt. Gelingt es Schröder, die FDP in eine rot-gelb-grüne Ampel zu ziehen? Oder schafft es Merkel, die Grünen zu einer schwarz-gelb-grünen Jamaika-Koalition zu überreden? Die FDP schließt Gespräche mit Gerhard Schröder aus. Und der maßgebliche Grüne Joschka Fischer will unter Merkel nicht Minister sein.

5. Was macht der Bundespräsident?

Nichts, Horst Köhler wartet, bis ihm einer der Akteure signalisiert, dass er oder sie eine Mehrheit zustande bringt. Dann beauftragt er ihn/sie mit der Regierungsbildung.

6. Wie sieht es mit einer großen Koalition aus?

Wäre wohl das Sinnvollste. Ist aber wegen des unbedingten Führungsanspruchs, den sowohl Gerhard Schröder als auch Angela Merkel erheben, nicht ohne weiteres machbar. Eine große Koalition aus CDU und SPD wäre von den Stimmenverhältnissen her zusammen natürlich die stabilste Mehrheit im Bundestag. Die Dreierbündnisse Jamaika oder Ampel stehen am Ende sehr verwinkelter Gespräche. Alles hängt am ungeklärten Problem: der Kanzlerfrage. (siehe Seite 3)

7. Wieso kommt die linke Mehrheit (51,9 Prozent) im Parlament nicht zustande?

Eine Dreierkoalition aus SPD, Grünen und Linkspartei ist unwahrscheinlich. SPD-Chef Franz Müntefering hat ausgeschlossen, mit den Linken auch nur zu reden. Solange bei der SPD Gerhard Schröder und der Linkspartei Oskar Lafontaine an Bord sind, ist Rot-Rot-Grün eigentlich undenkbar. Ein solches Linksbündnis könnte vermutlich nur entstehen, wenn zuvor eine große Koalition eine Zeit lang regiert – und dann scheitert.

8. Wie beeinflusst die Bundestagswahl die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat?

Überhaupt nicht. Denn der Bundesrat wird von den Landesregierungen und deren jeweiligen Farbkonstellationen bestimmt. Die Ministerpräsidenten der Länder warten dort genüsslich, wer demnächst bei ihnen Gesetzesvorlagen einreicht. Eine schwarz-gelbe Koalition im Bundestag (die ja nicht zustande kommt) hätte im Bundesrat die deutliche Mehrheit von CDU-FDP-Landesregierungen hinter sich gehabt. Eine große Koalition hingegen könnte sich nur auf eine hauchdünne Mehrheit stützen (36 von 69 Stimmen). Dazu zählen die fünf von der Union alleine regierten Länder plus die vier großen Koalitionen. Eine Ampel hätte im Bundesrat lediglich vier Stimmen aus der SPD-FDP-Regierung in Rheinland-Pfalz auf seiner Seite. Und ein Jamaika-Bündnis im Bundestag könnte sich wohl mehr oder weniger auf die 43 schwarz-gelben Bundesratsstimmen verlassen. Eine Mehrheit für CDU und FDP ist in der Länderkammer relativ stabil und dürfte bis 2008 halten.

9. Kann es auch eine Minderheitsregierung geben?

Das ist auszuschließen. Minderheitsregierungen oder Tolerierungen sind in Deutschlands Stabilitätsparlamentarismus nicht Usus. Allerdings könnte es sehr wohl zu einem Show-down im Bundestag kommen, der in Minderheitsszenarien mündet. Dann nämlich, wenn die Union oder die SPD ihren jeweiligen Kandidaten im neu gewählten Bundestag zur Kanzlerwahl stellen. Beide Parteien halten dieses Vorgehen als Drohkulisse aufrecht. Die Union, weil sie dann eine Minderheitskanzlerin Merkel im dritten Wahlgang mit relativer Mehrheit durchbekäme. Oder Schröder dazu provozieren könnte, dass er sich trotz großen Knatschs mit Lafontaine- und Grünen-Stimmen zum Rot-Rot-Kanzler wählen lässt.

10. Könnte es auch schnell zu Neuwahlen kommen?

Ja, wenn Bundespräsident Köhler entscheidet: Eine schwarz-gelbe Minderheitskoalition unter Angela Merkel ist mir zu wackelig: Ich lasse neu wählen! Oder wenn Merkel die Vertrauensfrage im Bundestag stellt – und verliert.