„Klein- geistiger kann man sich nicht verkaufen“

Das bleibt von der Woche Hertha muss ohne den namengebenden Dampfer Geburtstag feiern, das Landesamt für Flüchtlinge zieht nach einem Jahr Arbeit Bilanz, die Initiative „Volksentscheid retten“ wirft das Handtuch, und die neuen Wahlumfrage­werte lassen die Berliner SPD alt aussehen

Is LAF
all we
need?

Landesamt für Flüchtlinge

Unterstützung brauchen Geflüchtete nach wie vor – aber andere als damals

Die Bilder haben sich tief in die Erinnerung gegraben: Bilder von Menschen, die erschöpft nach Krieg und langer Flucht, hungrig und durstig, teils krank und verletzt auf der zertretenen Wiese vor einer Berliner Behörde kampierten – Kinder, Alte, Schwangere. Bilder wütender Männer, eingeklemmt von rot-weißen Absperrgittern, von Sicherheitsleuten bewacht: wütend, weil sie wochenlang vor dem Amt warten mussten, das ihnen eigentlich helfen sollte.

Das war der Sommer 2015, als täglich Hunderte Flüchtlinge, vornehmlich aus Syrien, nach Berlin kamen. Und die für ihre Registrierung und Versorgung zuständige Behörde – das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in der Moabiter Turmstraße – vor dem Andrang kollabierte und seine Aufgaben nicht mehr erfüllen konnte.

Während damals diese Aufgaben teilweise von Tausenden ehrenamtlich helfenden Berlinerinnen und Berlinern übernommen wurden, die den Geflüchteten Essen und Trinken, Kleidung und Unterkunft anboten, reagierte der Senat langsam – aber radikal. Er entzog dem Lageso die Zuständigkeit für Geflüchtete und gründete dafür eine neue Behörde, das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), das am 1. August 2016 seine Arbeit aufnahm. Am Mittwoch wurde deshalb zur Bilanzkonferenz geladen.

Vieles hat sich verbessert in der Flüchtlingsbetreuung: So bekommen mittlerweile alle Geflüchteten eine Gesundheitskarte, die ihnen direkten Zugang zu ärztlicher Versorgung in akuten Fällen ermöglicht. Sie müssen damit nicht mehr vor jedem Arztbesuch erst vor der Behörde anstehen für einen Kostenübernahmeschein. Und vor allem: Niemand muss mehr auf der Straße schlafen. Doch gerade die Unterbringungssituation zeigt, wie viel noch zu tun ist, um die NeuberlinerInnen in die Stadt zu integrieren. Noch leben fast 30.000 Geflüchtete in Flüchtlingsheimen, 10.000 gar in einst als Provisorien eingerichteten Notunterkünften ohne die üblichen Mindeststandards.

Die schockierenden Bilder, die damals für so viel Hilfsbereitschaft sorgten, gibt es heute nicht mehr. Unterstützung brauchen die Geflüchteten aber nach wie vor. Heute andere als vor zwei Jahren. LAF is not all we need. Alke Wierth

Club perfekt, Stadt eher nicht

Herthas Geburtstag

Berlin versagte die Einreise, weil „Hertha“ kein „Schwimm­fähigkeitsattest“ hat

Manchmal darf man als Journalist auch mal uneingeschränkt die Schlagzeile der Konkurrenz loben. Hertha BSC, schrieb der Tagesspiegel am Dienstag anlässlich des 125. Geburtstags der Alten Dame, sei „der perfekte Verein für eine unperfekte Stadt“.

Wie visionär diese Feststellung war, sollte sich noch am selben Tag zeigen. Der Dampfer „Hertha“, auf dem der gleichnamige Verein 1892 gegründet wurde, sollte pünktlich zum Vereinsgeburtstag in der Hauptstadt ankommen. Um das zu ermöglichen, musste er als Schwertransport erst durch Brandenburg, um dann wieder zu Wasser gelassen zu werden und schließlich, schwimmend, die Stadtgrenze zu erreichen.

Und genau dort, an der Stadtgrenze, begannen die Probleme. Das Wasser- und Schifffahrts­amt (WSA) Berlin versagte nämlich die Einreise mit dem Hinweis, die „Hertha“ habe noch kein ­„Schwimmfähigkeits­attest“. Und wann sie das bekommt? Wer weiß. Nicht nur Autos müssen in Berlin also auf ihre Zulassung warten, sondern auch Gründungsschiffe von Fußball-Bundesligisten. Ist das also die unperfekte Stadt, von der die Kollegen schrieben?

Womit wir beim perfekten Verein wären. Als die vergangene Saison zu Ende war und damit klar war, dass sowohl Köln als auch Berlin europäisch spielen, haben die Fans in Köln den Rasen gestürmt und Stücke he­rausgeschnitten, während in Berlin alle schnell die Saison abhakten.

Anders als Köln aber hat sich Hertha seitdem klug verstärkt (s. Seite 43), und es ist auch so etwas wie gespannte Neugier auf das Experiment Europa zu spüren. Vielleicht kann Hertha in dieser Saison endgültig mit Berlin zusammenwachsen und die Westberliner Kutte abstreifen.

Und wenn es nicht klappt, wird Manager Michael Preetz bestimmt twittern: „Schuld ist das Wasser- und Schifffahrts­amt.“ Uwe Rada

Leider eine verpasste Chance

Volksentscheid retten

Die öffentliche Diskussion hätte eine Stärkung der Demokratie bedeutet

Es hätte das Volksbegehren der Volksbegehren werden sollen: Die Initiative Volksentscheid retten wollte per direktdemokratischer Abstimmung die Bedingungen für Volksbegehren insgesamt verbessern. Ausgerechnet ihr Rückzug in dieser Woche kann nun als Beweis dafür gelesen werden, dass die von der Initiative angeprangerten Missstände tatsächlich ein Problem sind: Weil die Senatsverwaltung für Inneres neun Monate für die Prüfung des vorgelegten Gesetzesentwurfs brauchte, konnte der angestrebte Abstimmungstermin parallel zur Bundestagswahl nicht mehr realisiert werden.

Für das Vorhaben der Initiative bedeutete das faktisch das Aus. Denn das besonders hohe Quorum, das aufgrund der angestrebten Verfassungsänderung nötig gewesen wäre, ist außerhalb von großen Wahlterminen praktisch nicht zu erreichen. Eine verbindliche Frist für die Prüfung durch den Senat – wie im Gesetzesentwurf der Ini­tiative vorgesehen – hätte hier geholfen.

Dass die Initiative aufgibt, bedeutet aber nicht, dass aus dieser Festlegung von Fristen wie auch aus der angestrebten grundsätzlichen Zusammenlegung von Volksentscheiden und Wahlterminen nichts wird: Die Koalition hat sich Ähnliches vorgenommen, 2018 soll ein Gesetzesentwurf dazu kommen. Der Knackpunkt ist ein anderes Ziel der Initiative: Wenn das Parlament ein per Volksentscheid verabschiedetes Gesetz nachträglich ändert, sollten binnen vier Monaten gesammelte 50.000 Unterschriften ausreichen, um einen erneuten Volksentscheid über die Änderung durchzuführen.

Dass dieses Vorhaben nun erst mal vom Tisch ist, ist schade. Denn es ist ein wichtiges Recht des Parlaments, Gesetze ändern zu können, auch wenn sie per direktdemokratischer Abstimmung verabschiedet wurden. Daran hätte die vorgeschlagene Änderung aber nicht gerüttelt, sie hätte lediglich in der Auseinandersetzung um eine solche Gesetzesänderung die Position von BürgerInnen gegenüber dem Parlament gestärkt – und damit ein vorhandenes Machtgefälle entschärft. Das Abgeordnetenhaus wäre so gezwungen worden, in der Bevölkerung für Zustimmung zu seinem Vorhaben der Gesetzesänderung zu werben, statt sie einfach durchzuführen.

Die so erzwungene öffentliche Diskussion hätte keine Schwächung, sondern eine Stärkung der Demokratie bedeutet, auch der parlamentarischen. Und sollte deswegen auch im Interesse derjenigen sein, die aus guten Gründen Vorbehalte gegenüber direktdemokratischen Instrumenten haben.

Malene Gürgen

Doch nicht alles Müller, oder was?

Schlechte Umfragewerte

Müller will alle mitnehmen. Und macht es am Ende offenbar keinem recht

Rot-Rot-Grün, das klang verheißungsvoll. Endlich würde sich eine linke Mehrheit, die es in Berlin schon lange gibt, zusammenfinden und die Stadt mit sozialem und ökologischem Anspruch regieren. Das war die Hoffnung im Herbst 2016. Was SPD, Linkspartei und Grüne dann im Koalitionsvertrag formulierten, las sich tatsächlich vielversprechend. Eine sozialere Politik, teilweise niedrigere Mieten, die Verkehrswende in der Stadt – mit Rot-Rot-Grün schien das alles möglich.

Es hat sich in einzelnen Punkten auch etwas getan seitdem. Die Stadtentwicklungspolitik wurde stärker sozial ausgerichtet, das Radgesetz ist zumindest in Arbeit. Aber die Strahlkraft – die fehlt dieser Koalition. Laut einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage des Instituts ­Civey ist denn auch gerade mal gut ein Viertel der BerlinerInnen mit der Arbeit des rot-rot-grünen Senats zufrieden.

Davon profitiert die CDU. Seit Mai liegt die SPD in Umfragen hinter den Christdemokraten. Wenn am nächsten Sonntag Abgeordnetenhauswahl wäre, würde die CDU mit 24,5 Prozent stärkste Kraft, die SPD käme auf nur 20,5 Prozent.

An dem schlechten Abschneiden sind zum Teil sicher die ­SenatorInnen schuld. Sie schaffen es offenbar nicht, ihre Politik zu vermitteln. Die Flaute hängt aber vor allem mit der Person des Regierenden Bürgermeisters zusammen. Klaus Wowereit war das Gesicht des liberalen Berlin – frei nach dem Motto „Leben und leben lassen“. Und Michael Müller? Er beschwert sich über gesperrte Parkplätze vor seiner Haustür. Kleingeistiger kann man sich nicht verkaufen.

Müller betont immer, alle Berliner mitnehmen zu wollen, eben auch jene, die sich über wegen des Radverkehrs gesperrte Parkplätze vor der eigenen Haustür aufregen. Und macht es damit am Ende offenbar keinem recht: Gäbe es in Berlin eine Direktwahl, nicht mal 10 Prozent würden derzeit für ihn stimmen.

Vielleicht ist Müller, der sachliche, mittige SPDler, einfach der falsche Chef für eine linke Koalition? Auf Rot-Rot-Grün angesprochen, betont er vor allem die Schwierigkeiten, die bei der Zusammenarbeit von drei Partnern entstünden. Von Begeisterung, gemeinsam mit Linken und Grünen etwas in der Stadt bewegen zu können, keine Spur.

Das ist schade. Für die Koalition. Aber vor allem für Berlin.

Antje Lang-Lendorff