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Berliner SzenenIm Wartezimmer

Das Boo

So sehen wir eine Weile zu viert auf das Tier

„Kommen Sie früh, dann sind sie früh dran. Wir vergeben keine Termine“, sagte die Arzthelferin gestern Abend am Telefon. Es fühlt sich jetzt schon an, als würden wir hier seit drei Tagen sitzen. Der Mann, der so aussieht, als würde er seit drei Tagen die immer gleichen Bewegungsabläufe verrichten, läuft zwischen den gegen überstehenden Stuhlreihen auf und ab. Auf seinem T-Shirt steht in bordeauxroten Großbuchstaben: „I’m a classy motherfucker“. Er humpelt leicht und scheint Schmerzen zu haben. Ein anderer Mann, in den ich mehrere Male hineinpassen würde, der einen respekteinflößenden Nacken und zahlreiche Narben an den Armen hat, sitzt neben meiner Tochter und sieht inte­ressiert auf das Tablet hinunter. Die Tochter hat seit einer Weile das Boo-Spiel, und solange wir hier warten, darf sie es spielen. Boo ist ein virtuelles Haustier, das gesäubert, angezogen, gefüttert und gestreichelt werden muss. Sie hat Boo gewaschen und gibt ihm nun Gemüse und Muffins. Der Mann starrt auf den Bildschirm.

„Das ist Boo!“, sage ich.

„Aha“, sagt er, ohne aufzusehen. Ein Grinsen geht über sein Gesicht. „Yo!“, sagt er, „Der hat aber ganz schön Hunger!“

Die Tochter nickt. Ein kleiner Junge mit einem ausgewaschenen Star-Wars-T-Shirt, tritt neugierig näher und stößt mit seinem zu dem Tablet geneigten Kopf gegen den des Mannes. Der grinst ihn an. Der Junge reibt sich den Kopf, starrt aber weiterhin auf den Bildschirm. Der Mann sagt „Das ist Boo.“ „Weiß ich“, nickt der Junge. So sehen wir eine Weile zu viert auf das Tier, das nun durch die Befehle der Tochter Seilspringen macht. Dann wird der Mann aufgerufen. Der Junge geht zu seiner Mutter zurück. Meine Tochter schaltet das Tablet aus, sieht mich an undfragt: „Was machen wir jetzt?“ – „Wir warten“, sage ich. Sie stellt das Tablet wieder an.

Björn Kuhligk

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