Wortwechsel
:

die tageszeitung | Rudi-Dutschke-Straße 23 | 10969 Berlin | briefe@taz.de | www.taz.de/zeitung

Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.

Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

Das war der Gipfel!

Déjà-vu Die Krawalle in Hamburg und die Provokationen der Polizei rufen bei vielen taz-LeserInnen Erinnerungen wach an Straßenkämpfe vor 30 Jahren …

Die Welt ist ein Brokdorf: Anti-AKW-Demo am 5. April 1986 Foto: Hartmut Bartels

Die Gipfel-Ultras

betr.: „Das wird immer umkämpft bleiben“, taz vom 18. 7. 17

Es ist ein bisschen befremdlich, dass 20.000 Polizisten nicht in der Lage zu sein scheinen, einigen Hundert oder vielleicht auch Tausend Randalierern Einhalt zu gebieten, sondern stattdessen die Situation soweit eskalieren lassen, dass es sich außerhalb Hamburgs wie ein mittlerer Bürgerkrieg darstellt. Man stelle sich nur eine ähnliche Taktik gegenüber Fußballhooligans vor: Weil die Polizei in einem ausverkauften Bundesligastadion gewaltbereite Hooligans vermutet, die sich vermummen und wahrscheinlich pyrotechnische Artikel mit sich führen, fordert sie diese über Lautsprecher zum Verlassen des Stadions auf. Der Spielbeginn verzögert sich um eine Stunde, ohne dass etwas geschieht, dann entschließt sich die Einsatzleitung dazu, das Stadion zu stürmen und gewaltsam zu räumen. Das Spiel fällt aus, es gibt einige Hundert Verletzte, darunter zahlreiche Polizisten. Am nächsten Tag fordert Peter Altmaier „null Toleranz gegenüber den Fußball-Terroristen!“, worauf hin sich das Szenario von nun an jedes Wochenende wiederholt.

Wäre es politisch gewollt, wäre Fußball auf diese Weise spätestens einige Monate danach als Live-Ereignis erledigt. Wer dann noch ein Stadion besuchte, statt sich die Spiele im Bezahlfernsehen anzusehen, geriete allein dadurch in den Verdacht, ein Terrorsympathisant zu sein. Aber natürlich will sich niemand so etwas vorstellen, und die Polizei hat in Hamburg auch sicher richtig gehandelt, so wie sie es auch Woche für Woche in und vor den Stadien tut – um das politisch erwünschte Ergebnis zu erreichen. Dass für den Kampf gegen die Gipfel-Ultras andere Regeln gelten als für jene in den Stadien, haben andere zu verantworten.

RICHARD HEHN, Villingen-Schwenningen

Schutz-Polizei?

betr.: G20-Berichterstattung

Ich möchte mich ausdrücklich für eure ausgewogene Berichterstattung bedanken, die sich qualitativ von der konservativen und alternativ/linken Presse abhebt. Ich bin entsetzt über die massive Polizeigewalt gegenüber friedlichen Demonstranten. Meinen Kindern habe ich bisher beigebracht, dass die Polizei zu unserem Schutz da ist – auch bei Demos. Diese Annahme ist jetzt erschüttert. Zudem bin ich entsetzt über die naive Logik der Gewalttäter. Der legitime, friedliche Protest gegen den G20-Gipfel wurde durch die Ausschreitungen entwertet. Die weltweiten Linken tun gut daran, sich von diesen Aktionen und Akteuren zu distanzieren. Eine echte Alternative zum Status quo muss inklusiv und attraktiv sein. Jeglicher Widerstand muss friedlich sein oder er wird scheitern.

ALEXANDRA FREUDENBERG, Koblenz

La lotta

betr.: G20-Berichterstattung

Schade, dass immer Menschen über etwas schreiben, wovon sie entweder keine Ahnung haben oder wo sie nicht gewesen waren.

Sorry, ich war in Hamburg und schon bei unserem Antikapitalistischen G20-Camp haben wir die Brutalität der Polizei gespürt. Darüber hinaus hat die Polizei ihre Kompetenz überschritten.

Bei der Demo „Welcome to Hell“, sorry, aber auch da hat wiederum die Polizei mit der Gewalt angefangen, bei den Blockaden genauso. In Hamburg haben wir erlebt, wie ein polizeilicher Staat funktionieren kann.

La lotta continua.

ALAIN CHARLEMOINE, Brühl

Erinnerung an 1978

betr.: G20-Berichterstattung

Nachdem ich mir die Frage gestellt hatte: „Wem nützt dieser ganze Krawall?“, kamen mir immer wieder die Ereignisse von 1978 in den Sinn:

Damals hat der Verfassungsschutz ein Loch in die Celler Gefängnismauer gesprengt, und die CDU unter Ministerpräsident Ernst Albrecht schob das den Linken in die Schuhe.

Das machte sich gut zu Wahlkampfzeiten.

Ich kann nicht verstehen, warum die Polizei in Hamburg zum Beispiel nicht einige Leute auf dem Haus mit dem Gerüst postiert hat, obwohl der Hausbesitzer ihnen den Schlüssel gegeben und sie gewarnt hatte vor möglichen Gewaltausbrüchen.

Und warum wurden die 156 in Gewahrsam Genommenen ziemlich bald wieder freigelassen?

Angeblich hätten sie doch Tote in Kauf genommen, indem sie Cocktails und Betonplatten vom Haus herunterwarfen.

Waren unter den Leuten denn nur Mitglieder der Roten Flora oder vielleicht auch Undercoverleute vom Geheimdienst?

ANJA HALLERMANN, Braunschweig

Die frühen 80er

betr.: „Die Stunde der Diskurs-Chaoten“, taz vom 11. 7. 17

Zur Frage von Emily Laquer, „warum der strukturellen Gewalt so erbärmlich wenig und der Gewalt des Mobs so überbordend viel Aufmerksamkeit beigemessen wird“, fällt mir die Parole der Rattay-Demo aus den frühen 80er Jahren ein, die wir mit Tränen in den Augen schrien : „Menschen sterben und ihr schweigt, Scheiben klirren und ihr schreit“. Klaus-Jürgen Rattay war bei einer Hausräumung getötet worden. Es hat sich nichts geändert.

SIMON KUNKEL, Krefeld

1987

betr.: „Bei Wasser und Knäckebrot“ und „Was Polizeigewalt bedeuten kann“, taz vom 15. 7. 17

Einerseits schockiert es mich, was „Marc Schneider“ und Leo C. in Hamburg passiert ist, andererseits wundert es mich nicht, nachdem ich Hartmut Dudde im Fernsehinterview gehört habe. Ich erinnere mich an meine Erlebnisse in Brokdorf/Hamburg im Juni 1987, wo ebenfalls größtenteils friedliche DemonstrantInnen willkürlicher Polizeigewalt ausgesetzt waren, nachdem nachweislich V-Leute der Polizei die Eskalation provoziert hatten.

Was den beiden Männern geschehen ist, ist absolut nicht akzeptabel, es gehört angezeigt und gerichtlich verfolgt, Folter ist das richtige Wort. Ich rate ihnen dringend, das, was in dieser Richtung möglich ist, zu tun und sich Unterstützung zu suchen – zumal es ja viele sein werden, die Ähnliches erlebt haben. Schon damals war die taz die einzige Zeitung, die wahrheitsgemäß über die Ereignisse in Brokdorf berichtete, und ich als junge Studentin war schockiert über die Lügen und Vertuschungen des Staates und die Verunglimpfung der Demonstrierenden in allen Medien. Ich erinnere noch die bürgerkriegsähnliche Lage, als Flüchtende von Polizeihunden gehetzt wurden und ich mich nicht gewundert hätte, wenn aus den über uns kreisenden Hubschraubern geschossen worden wäre. Ich wünsche unseren PolitikerInnen mehr Mut zu klaren Worten und konsequenten Entscheidungen und den Polizeichefs mehr Mut zu Gelassenheit und klugem Handeln. Etwas weniger Hysterie, bitte.

Name ist der Redaktion bekannt

Alfred Adler

betr.: G20-Berichterstattung

Liebe taz, Alfred Adler hat schon vor mehr als 50 Jahren in seinen Studien zu Gesellschaft und Jugend gesagt: dahin gehen, wo Kinder und Jugendliche anzutreffen sind. Ihnen eine Möglichkeit geben, sich als nützliches Glied einer Gesellschaft zu fühlen und an ihr teilzuhaben. Sonst ist der Weg zu Radikalismus und Kriminalität vorprogrammiert. Das haben wir europaweit immer noch nicht verstanden!

ILONA HORN, Marburg