Bairisches Aikido

PRINZIPIENTREU Von Konservativen lernen heißt siegen lernen. CSU-Chef Horst Seehofer hat es tatsächlich geschafft, die Affäre um seinen Exsprecher für sich zu nutzen

Das konservative Milieu übersieht gern Fehler, solange einer von seinesgleichen sie begangen hat

VON MATTHIAS LOHRE

A Hund is er scho, der Seehofer. Das ist im Bayerischen keine Beleidigung. Wer einen anderen als „a Hund“ bezeichnet, der offenbart Respekt vor dreistem Auftreten. Hierzulande heißen vor allem Konservative dieses Gebaren bei anderen Konservativen gut. Derzeit macht der CSU-Vorsitzende wieder einmal vor, wie weit man damit kommen kann. Und was Leute wie er dadurch Linken voraushaben.

Seehofers damaliger Sprecher Hans-Michael Strepp rief bekanntlich vor einigen Wochen beim ZDF an, um zu fragen, ob die Sendung „Berlin direkt“ tatsächlich über den bayerischen SPD-Parteitag berichten wolle. Weil das öffentlich wurde, gab es Ärger. Strepp musste gehen. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sollte sich rechtfertigen. Dobrindts Chef Seehofer musste fürchten, in den Strudel hineingezogen zu werden – nur ein Jahr vor der Landtagswahl.

Doch der bayerische Ministerpräsident beherrscht die japanische Kampftechnik Aikido. Dabei geht es darum, die Kraft eines gegnerischen Angriffs (Randori) abzulenken (Abwehr) und wider das Gegenüber zu wenden. In Krisen sieht er Chancen.

Seehofer befördert seinen alten Vertrauten Jürgen Fischer zum Nachfolger Strepps. Das hat mehrere Vorteile für Seehofer: Der 52-Jährige gilt als absolut loyal gegenüber seinem Chef. Er soll selbst seinem alten Arbeitgeber, dem Donaukurier – der Heimatzeitung Seehofers – zu CSU-loyal gewesen sein. Das muss man erst mal schaffen.

Nun weiß Seehofer dank der Strepp-Affäre einen engen Vertrauten an seiner Seite. Zugleich bekommt der vielgescholtene Generalsekretär Konkurrenz. Im Wahlkampf soll Fischer Dobrindt zumindest ergänzen, wenn nicht gar inhaltlich ersetzen. Dobrindts Äußerungen gelten selbst CSU-Politikern als zu krachledern. Ihn nur zehn Monate vor der Wahl zu entlassen, gäbe aber schlechte Presse. Seehofer geht also aus einer Krise gestärkt hervor. Genauer gesagt: Seehofer kann darauf vertrauen, dass potenzielle CSU-Wähler seinen jüngsten Coup so werten.

Dem bayerischen Ministerpräsidenten kommt ein Wesenszug des konservativen Milieus zugute: Es übersieht gern Fehler, solange einer von seinesgleichen sie begangen hat.

Franz Josef Strauß soll gesagt haben, man müsse seine Grundsätze so hoch hängen, dass man bequem darunter durchlaufen könne. Auf Seehofer bezogen, heißt das: Natürlich sehen seine potenziellen Wähler seine Winkelzüge und erratischen Entscheidungen. Aber sie sind bereit, dies zugunsten eines vermeintlich höheren Ideals zu tolerieren. Das Ideal ist die CSU als Heimat für all die, die bereit sind, sich zu ihr zu bekennen. Die CSU ist kein Programm und keine Person, sondern ein Gefühl. Wenn es Winkelzügen bedarf, um die Existenz dieses Wellnessbereichs zu sichern, drücken ihre Anhänger gern ein Auge zu. Es bleibt ja in der Familie. Die CSU ist die Meisterin konservativer Dialektik. Ein großer Vorteil gegenüber linken Parteien.

Die SPD beweist gerade wieder, dass sie selbst ihr härtester Gegner ist. Unions-Wahlkämpfer würden ihren Kanzlerkandidaten niemals monatelang öffentlich auffordern, seine Redehonorare auf den Cent genau offenzulegen. Aber die SPD ist ein Programm. Ihr zentrales Gefühl ist Schmerz ob eines schlechten Gewissens, weil es noch nicht allen Menschen gut geht.

Hingegen tauchen die Worte „Horst Seehofer“ und „schlechtes Gewissen“ womöglich hier zum ersten Mal überhaupt im selben Satz auf. Der 63-Jährige strahlt eine Selbstzufriedenheit aus, die vor allem katholische Konservative anzieht und insbesondere protestantisch geprägte Linke abstößt.

Konservative erwarten keine Heiligen, sondern Persönlichkeiten. Linke können davon lernen. Ihr ohnehin schlechtes Gewissen würde dann wohl noch größer – weil sie vom Feind gelernt haben.