Portrait
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Wird am Donnerstag 90 Jahre alt: Ludmila Alexejewa Foto: privat

Unbeugsame Kreml-Gegnerin

Ludmila Alexejewa ist die Grande Dame der russischen Menschenrechtsbewegung. Am Donnerstag wird die Bürgerrechtlerin 90 Jahre alt. In letzter Zeit ist es etwas ruhiger um sie geworden. An Demonstrationen nehme sie nicht mehr teil, wenn mit einem Polizeieinsatz zu rechnen sei, entschuldigte sich die kleine, drahtige Frau damals, mit 85 Jahren. Ihre Stimme ist jedoch nach wie vor deutlich zu vernehmen.

Ludmila Alexejewa ist eine jener russischen Persönlichkeiten, die angesichts erdrückender Übermacht von Unrecht und Niedertracht Mut und Furchtlosigkeit beweisen. Urrussische Charaktere, die das Land immer wieder aufs Neue davor bewahren, die Achtung vor sich selbst zu verlieren. 1968 gehörte die Bürgerrechtlerin zu einem kleinen Häuflein von Aufrechten in der Sowjetunion, die in Moskau gegen den Einmarsch der Roten Armee in die Tschechoslowakei demonstrierten.

Fast ein Jahrzehnt später musste die Archäologin die UdSSR verlassen. Hausdurchsuchungen und Berufsverbot gingen dem voraus. Seit den 1960ern hatte Alexejewa Literatur zu Menschenrechtsfragen im Samisdat herausgegeben. 1977 war es so weit. Die Kommunistische Partei (KPdSU) trieb die Aktivistin ins Exil. Sie ging in die USA. Letzter Auslöser: Nach der Schlussakte von Helsinki 1976 gründete sie einen Moskauer Ableger der Helsinki-Gruppe.

1993 kehrte die Bürgerrechtlerin nach Moskau zurück. Trotz Erfahrungen mit Erniedrigung, Exil und dem Abgleiten Russlands in autoritäre Fahrwasser sei sie ein Mensch, der zum „Glücklichsein neige“, sagte sie einmal. Wer seine Würde verteidige, müsse doch zufriedener sein als ein Schurke.

Vor der Unbeugsamkeit der alten Dame haben selbst die Männer im Kreml Respekt. 2015 kehrte Alexejewa in die Menschenrechtskommission beim Präsidenten zurück, die sie drei Jahre zuvor aus Protest gegen die Behinderung der Zivilgesellschaft verlassen hatte. Seither sind die Zeiten noch härter geworden. Dennoch sei der Menschenrechtsrat einer der wenigen Orte, wo sich etwas bewirken lasse, meint sie. „Wir sind ein Land, das nicht dafür gemacht wurde, ein normales Leben zu führen.“ Klaus-Helge Donath