berliner szenen Kindheit im Netz

Schwarze Sieben suchen

Mein Bruder kann nachts schlecht schlafen. Weil er nicht wach im Bett liegen möchte, geht er neuerdings mit seinem Notebook im Arm in Mitte und Prenzlauer Berg spazieren. Ein bisschen muss er dabei wie ein Wünschelrutengänger aussehen, wenn er so ganz alleine und konzentriert durch die Stadt läuft, nur dass er keine Wünschelrute in den Händen hält, sondern sein Notebook. Aber er sucht ja auch nicht nach verborgenen Wasseradern. Er sucht etwas anderes. Mein Bruder ist auf der Suche nach unserer Kindheit.

Das magische Wort, das ihm bei dieser Suche hilft, heißt Wireless Lan. Wenn sein Notebook einen Hotspot gefunden hat, in den es sich einwählen kann, bleibt er wie angewurzelt stehen und beginnt mit dem zweiten, wichtigeren Teil seiner Suche: Er schürft im Netz wie ein Goldgräber nach Folgen der Hörspielserie „Die Schwarze Sieben“. Wir hatten sie früher alle auf Kassette und durften sie zum Einschlafen hören. Bei mir hat das auch geklappt, und ich habe mich meist bei der Hälfte in das Reich der Träume verabschiedet. Mein Bruder ist wach geblieben. Er hat die Kassette umgedreht, und am nächsten Morgen hat er mir auf dem Schulweg erzählt, wie die Geschichten ausgegangen sind.

Und jetzt saugt er diese winzigen Stücke unserer Kindheit aus dem Netz. Es ist wie ein Wunder, sagt er. Es ist, als ob es möglich geworden sei, in der Zeit zurückzureisen. Vor ein paar Tagen haben wir uns gemeinsam die Folge „Die Schwarze Sieben jagt den Dieb“ angehört, und mein Bruder hatte nicht übertrieben: Mit der Titelmusik wurden wir in die späten Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts zurückkatapultiert und befanden uns plötzlich in einem Abenteuer, das wir in unserer Kindheit schon einmal erlebt hatten. DANIEL KLAUS