Zukunft üben

Ein Kindertheater probt die Wende: Im „Theater an der Parkaue“ setzt das neue Leitungsteam Bunge/Wuschek/Marsch auf ästhetische Vielfalt

VON ESTHER SLEVOGT

Wenn heute Abend am Lichtenberger „Theater an der Parkaue“ die neue Spielzeit beginnt, fängt in der Geschichte des Hauses eine neue Epoche an. Wenn es Kindertheater grundsätzlich schwer hat, ästhetisch ernst genommen zu werden, hat es dieses Theater, das bis vor kurzem noch „Carrousel-Theater“ hieß, in den letzten Jahren besonders schwer gehabt. Was sonst vielerorts in der Stadt Kultstatus-fördernd war, ein gewisses „Ost-Etwas“, hatte hier die umgekehrte Wirkung. Dagegen half nicht einmal, den alten Namen „Theater der Freundschaft“ abzuschaffen. Die betont poetische Unverfänglichkeit des Namens „Carrousel-Theater“ wurde die Verkrampftheit seiner Intention niemals los. Im Westen blieb das Haus so gut wie unbekannt.

Jahrelang kämpfte Ex-Intendant Manuel Schöbel hauptsächlich ums Überleben und tat sich im Schatten des kulturpolitischen Desinteresses schwer, das Haus in der Theaterlandschaft zu positionieren. Erst im vergangenen Jahr wurde das „Carrousel“ dann vom Kultursenator finanziell auf einigermaßen gesunde Füße gestellt und mit Kay Wuschek, Sascha Bunge und Karola Marsch ein neues Leitungsteam berufen. Heute Abend nun hat Bunges Inszenierung seiner Bearbeitung von Kenneth Grahams Kinderbuchklassiker „Der Wind in den Weiden“ Premiere. Es ist die Geschichte einer Freundschaft zwischen einer Ratte, einem Maulwurf und einem egoistischen Kröterich, die einerseits von Solidarität und Freundschaft handelt und andererseits eine Hommage an die kreative Kraft des Egoismus ist. Eigenschaften, die fast klischeehafte Charakteristika der jeweiligen deutsch-deutschen Hälften sind.

Aber das ist Wuschek und Bunge wahrscheinlich nicht mal wichtig. Sie treten mit eindrucksvollem Spielplan und dem eisernem Willen an, ihr Haus inhaltlich und ästhetisch zu profilieren. „Wir wollen weniger mit den depressiven Gefahren der Erwachsenenwelt umgehen“, erklärt Wuschek. Dafür gebe es in der Stadt schon Theater genug. „Wir wollen das Immunsystem unseres jungen Publikums stärken, dieser angstbehafteten und frustbeladenen Welt entgegenzutreten.“ Theater sei nun mal das beste Instrument dafür, vorausgesetzt, dass die Kinder das ästhetische Rüstzeug dafür erhalten. „Im Grunde geht es uns darum, Kindertheater als eine Alphabetisierungsmaßnahme in die Theatersprache zu begreifen.“

Daneben ist unter dem Titel „Erziehungsberechtigt“ eine Debattenreihe zu Kultur, Bildung und Politik geplant. Auf den monatlichen Theaterfesten „Meilen und Meer“ werde andere Kulturen vorgestellt. Die erste Reise führt am kommenden Sonntag zum Ginseng-Fest nach Korea.

Auf den ersten Blick sehen Wuschek und Bunge selber aus, als seien sie einem berühmten deutschen Kinderbuch entsprungen. Wuschek geht mit seinem wachem Blick hinterm dunklen Bart locker als Idealbesetzung für den Räuber Hotzenplotz durch, während Bunge samt glattrasiertem Schädel sofort als großer Zauberer Petrosilius Zwackelmann vorstellbar ist. „Hotzenplotz?“, fragt Bunge verdutzt. „Was hat denn der gemacht?“ So richtig kann er die Figuren aus Ottfried Preußlers berühmtem Kinderbuch gar nicht einordnen, die zum Inventar jeder Westkindheit gehören. Und man ahnt: Hier ist doch noch einiges zu tun im deutsch-deutschen Kulturausgleich. Aber die Chancen stehen gut, dass in Kürze nicht nur der „Räuber Hotzenplotz“ gründlich durchgearbeitet worden ist, sondern auch das Theater bis in die tiefsten Steglitzer, Zehlendorfer und Kreuzberger Kinderkreise hinein bekannt sein wird.

„Wir wollen neugierig auf die ganze Vielfalt der Theaterästhetiken machen.“ Auf dem Spielplan stehen Stücke von Einar Schleef, Bertolt Brecht bis Michael Ende, die mit Sicherheit auch den ein oder anderen volljährigen Zuschauer an die Parkaue locken werden. Als Regisseure werde neben Sascha Bunge auch Hans-Werner Kroesinger, Norma Somani oder Milan Peschel inszenieren, die man in Berlin bisher aus dem HAU, der Volksbühne oder den Sophiensaelen kennt. Trotzdem soll es um die Fragen von Kindern und Jugendlichen und nicht um abgeklärte Erwachsenenperspektiven gehen, beteuern Bunge und Wuschek. „Wie erzähle ich zum Beispiel meinen Eltern, meinen Lehrern, dass ich einen anderen Lebensentwurf habe? Darum geht es in Brechts „Galilei“, den Hartmut Wickert im Oktober hier inszenieren wird.“

Sascha Bunge wurde 1969 in Brandenburg geboren, Spross einer DDR-Theaterdynastie. Großvater Hans Bunge war Dramaturg am BE und am Deutschen Theater und baute das Brecht- und das Eisler-Archiv mit auf. Vater Wolf wurde 1990 Leiter des Magdeburger Kinder- und Jugendtheaters und machte die „Freien Kammerspiele“ daraus, die neben der Berliner Volksbühne wohl legendärste Nachwendetheatergeburt. Mit von der Partie waren damals auch der junge Dramaturg und Regisseur Kay Wuschek und Karola Marsch, als Theaterpädagogin heute die Dritte im neuen Leitungsbund. Längst haben die drei auch im Westen inszeniert und gearbeitet. Wuschek war Dramaturg in Aachen, inszenierte in Tübingen und Paris. Bunge inszenierte am Berliner Podewil und im HAU: Karola Marsch hat zuletzt das Kinder- und Jugendtheater in Würzburg geleitet. „Sagen wir, wir sind die Zukunft!“ ist ein Glaubenssatz, mit dem das Team jetzt in eine neue Ära startet. Das Theater an der Parkaue kann diese Zukunft gut gebrauchen.

Heute Premiere, 18 Uhr: „Der Wind in den Weiden“. Im Theater an der Parkaue, Parkaue 29, 10367 Berlin