Berliner Szenen: Das Kind & die Antifa
Zu politisch
Das Kind kommt empört aus der Schule. „Die wollten mein Wort nicht. Wieder mal typisch!“ Es dauert eine Weile, bis ich verstehe, worum es geht. Im Deutschunterricht haben sie gerade freies Schreiben, Aufsätze und so Sachen. Die Fünftklässler sollten Wörter vorschlagen, die dann im Text Verwendung finden. Eigentlich eine ziemlich kreative Idee. „Was waren das denn für Wörter?“, eröffne ich vorsichtig den Dialog. „Opa, Gras, rauchen – na, da kannst du dir die Texte ja vorstellen.“ Ja, kann ich.
„Und welches Wort hast du vorgeschlagen?“, frage ich, um zum Ausgangspunkt unseres Gesprächs zu kommen. „Antifaschist“, sagt das Kind, „aber das war angeblich zu politisch.“ Ich atme tief durch, denn ich ahne schon, dass wir noch nicht durch sind. Richtig! „Trump und Atomkraft waren natürlich nicht zu politisch. Das sind ja auch ganz normale Wörter, die Kinder eben so nennen.“ Er schnaubt verächtlich.
Was soll ich sagen? Nichts, denn das Kind wechselt nahtlos zum nächsten Thema. „Weißt du, was mich ein Mädchen auf dem Schulhof gefragt hat? Ob ich Probleme mit Flüchtlingen habe. Nee, hab ich gesagt, ich kenn doch gar keine, was soll ich da für Probleme haben? Also sie und ihr Vater hätten Probleme, hat sie gesagt. Denn die kämen doch alle nur des Geldes wegen.“ – „Und wie hast du da reagiert?“, frage ich, den Zusammenhang mit der Deutschstunde ahnend.
„Ich habe gesagt, dass sie bestimmt anders denkt, wenn es hier in Berlin auch mal einen Giftgasangriff gibt wie in Syrien, und sie dann nicht mehr wegkann – weil die in anderen Ländern das Gleiche sagen wie sie jetzt. Wegen solcher Leute brauch ich jetzt endlich ein Antifa-T-Shirt. Aber da soll nicht ‚Refugees welcome‘ draufstehen, sondern ‚Flüchtlinge willkommen‘ – sonst verstehen die in der Schule ja gar nicht, was ich sagen will.“ Gaby Coldewey
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