Halb Twitter liebt Polizeigewalt

Trigger In dem Kommentarspalten tobte ein Mob, der unbemerkt und ungehindert die Abschaffung von Grundrechten und Lynchjustiz forderte

Es gab nicht nur einen Mob, der sich am Gipfel-Wochenende austobte. Neben den Randalierern im Schanzenviertel, denen weltweite Medienpräsenz zuteil wurde und über die noch wochenlang geredet werden wird, gab es noch einen anderen Mob: den in den Kommentarspalten. Und der marodierte von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt und ungehindert – getriggert von Fernsehbildern der Gewalt und befeuert von den Tweets der Polizei.

Mit der vermeintlich durch Krawalle gefährdeten Demokratie als Rechtfertigung fanden sich unter den Tweets der Polizei Aufrufe zu Gewalt. Einschränkungen der Pressefreiheit wurden widerstandslos akzeptiert, kritische Fragen zur Polizeitaktik und -gewalt in Großbuchstaben niedergebrüllt. Ohne vor Ort zu sein natürlich: Aber bloß weil jemand mit einer Tüte mit Chips auf dem Sofa sitzt und mit der Tastatur randaliert, heißt das nicht, dass nicht auch das eine Gefahr für die Demokratie bedeuten kann.

Denn in den Kommentarspalten solidarisierte sich der Mob nicht nur mit der Polizei, was angesichts schockierender Fernsehbilder ja noch halbwegs verständlich wäre. Sondern viele Twitter-User forderten nebenbei auch Schusswaffeneinsatz und totale Gewalteskalation, kurz die Abschaffung demokratischer Grundrechte.

Die Polizei stand während ihres Einsatzes zwischen den Stühlen. Einerseits musste sie mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit rechtfertigen, warum zweimal das SEK mit teilweise sogar mit Sturmgewehren und Pumpguns anrückte – selbst am ruhigeren Samstagabend. Dabei twitterte sie auch, dass ein Polizist von einem Laserpointer verletzt worden sei, ein weiterer eine Augenverletzung in Folge eines Böllers davongetragen hätte.

Diese Meldungen flogen der Polizei um die Ohren. Die Bild veröffentlichte ein unverpixeltes Foto einer Person und dazu die Schlagzeile: „Knalltrauma! – Randalierer wirft Böller auf Polizisten“. Mehrere rechte Seiten teilten das Foto mit dem Aufruf zur Selbstjustiz mit dem Hinweis auf einen erblindeten Polizisten. In den Kommentarspalten darunter entluden sich Gewaltfantasien. „Einfach abschlachten son pack“ war noch einer der harmloseren Gewaltaufrufe. Den Aufruf zur Lynchjustiz teilten über 110.000 Menschen. Die Dementis der Polizei, dass kein Polizist erblindet sei und die abgebildete Person nicht für den Böllerwurf verantwortlich, halfen nicht mehr, die Verbreitung des Fahndungsaufrufes aufzuhalten. Gareth Joswig