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Archiv-Artikel

Wer wird es denn nun?

Nach der Wahl ist klar: Jeder könnte mit jedem regieren. Doch leider will noch längst nicht jeder mit jedem. Die taz fragte daher 19 Berliner ExpertInnen: Welche Koalition wird uns an Weihnachten regieren? Und wenn das Wünschen noch helfen würde: Welche hätten sie denn gerne?

Matthias Lilienthal

Der Intendant des Hebbel am Ufer: „Ganz grundsätzlich: Einen Kulturminister, der als Erstes den Hauptstadtkulturfonds kippt, kann ich nicht gebrauchen. Dies wäre für die kulturelle Landschaft der Stadt fatal. Jetzt gibt es einen sechswöchigen Machtpoker, es gilt die Regel: Wer sich zuerst rührt, ist weg. Glaubt man Merkel und Schröder, dass sie mit dem Führungsanspruch des jeweils anderen niemals eine große Koalition machen, bleibt nur die Frage: Lässt sich Westerwelle oder Fischer weich klopfen? Für mich ist die FDP ein Hort des Opportunismus. Außerdem hat Schröder die besseren Nerven. Deshalb läuft alles auf eine Ampel unter Schröder zu.“

Peter Grottian

FU-Politologe: „Es ist Zeit, dass die Linkspartei aus ihrer Sprachlosigkeit nach der Wahl herausfindet. An der Stelle von Gysi und Lafontaine würde ich Rot-Grün eine limitierte Tolerierung anbieten. Will heißen: SPD und Grüne müssen ihr Programm – etwa bei Hartz IV – in einer bestimmten Frist korrigieren, dafür stimmen die Abgeordneten der Linkspartei manchmal mit. Das würde zumindest für konstruktive Verwirrung sorgen. Und im jetzigen Machtpoker zwei Optionen öffnen: Entweder macht die SPD den Deal mit. Oder die FDP darf sich als Retterin des Staates präsentieren – indem sie doch in eine Ampel unter Schröder eintritt.“

Benno Koch

Fahrradlobbyist und Vorsitzender des ADFC Berlin: „Ich vermute, dass die Zeit bis Weihnachten nicht reicht, um eine stabile Mehrheit zu bilden. Wünschen würde ich mir eine Regierung, die für ein modernes Verkehrssystem und regenerative Energien steht. Und die eine Antwort auf die Frage hat, wie man immer weniger Arbeit gerecht verteilt. Welche Konstellation das könnte, weiß ich auch nicht. Aber es sollte eine sein, in der Schröder Kanzler bleibt.“

Heidi Hetzer

Inhaberin des größten Opel-Hauses in Berlin: „Ich fände eine schwarze Ampel schön. Schröder ist ein arroganter Typ, eher Schauspieler als irgendetwas anderes. Höchste Zeit, dass es da eine Veränderung gibt. Angela Merkel ist eine vernünftige, nette und realistische Frau, ich habe sie selbst mal getroffen. Die kann auch die FDP und die Grünen zu Vernunft bringen und sagen: Kinder, rauft euch zusammen, es geht schließlich um euer Land. Und zum Thema Charisma: Wenn sie ordentliche Politik macht, meine Güte, da ist mir doch wurscht, wo ihre Mundwinkel hängen. Der Kohl hat schließlich auch nicht toll ausgesehen.“

Kurt Krömer

Neuköllner Anarcho-Kabarettist: „Ich befürchte, dass es eine große Koalition geben wird. Und dann wird es eine Splittung geben: zwei Jahre lang wird Schröder Kanzler sein, zwei Jahre Merkel. Das würde aber Stillstand heißen. Wenn wir wählen gehen, machen wir ja eine Ansage, und keiner hat am Sonntag eine Mehrheit bekommen. Deswegen ist es blöd, dass die Parteien Schwarz-Gelb-Grün diskutieren, was sich doch keiner wünscht. Wenn ich schon dieses kindische Gehabe höre, dass Westerwelle angepisst ist, weil ihn Joschka Fischer nicht grüßt, er ihn aber immer grüßt, weil er eine gute Kinderstube genossen hat, dann wird das doch nichts. Ich hätte gerne noch mal Rot-Grün gehabt, aber das werden die ja nicht schaffen.“

Kenan Kolat

Vizepräsident der türkischen Gemeinde: „Das ist wie Kaffeesatzlesen. Ich weiß es einfach nicht, welche Parteien bis Ende des Jahres die Regierung stellen werden. Ich wünsche mir eine Regierung, die den EU-Beitrittsprozess der Türkei vorantreibt. Außerdem sollte sie den Sorgen und Nöten der türkischen Bevölkerung mehr Beachtung schenken. Wenn diese beiden Kriterien erfüllt sind, dann ist es mir egal, wer Bundeskanzler wird.“

Claudia Schoensee

Landesschülersprecherin: „Am wahrscheinlichsten ist Schwarz-Gelb-Grün. Wünsche würde ich mir Rot-Grün, wie bisher. Aber das geht ja nicht mehr.“

Hans Wall

Chef der Wall AG: „Die Pattsituation bildet die Unentschlossenheit im Land ab. Sie darf jedoch nicht zur Zerrissenheit und Spaltung führen. Daher kommt es jetzt darauf an, dass die Volksparteien eine Sprache finden, die die Gemeinsamkeiten in den politischen Projekten betont und die Deutschland geschlossen in die Zukunft führt. Wir brauchen keine Talkrunden oder profilsüchtigen Politforderungen, wir brauchen ergebnisorientierte Dialoge zwischen Politik, Wirtschaft und Bürgern. Einer neuen Regierung muss es gelingen, Sozialstaatsreformen mit moderner Wirtschaftspolitik zu verbinden. Denn für den deutschen Exporterfolg sind nicht die Großunternehmen verantwortlich, sondern die zahlreichen ‚Hidden Champions‘, die innovativen Mittelständler, in die die Politik investieren muss. Sie können Wachstum mit Arbeitsplätzen verbinden, wenn sie die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen vorfinden.“

B. M.

Mitarbeiter bei Gays & Lesbians aus der Türkei Berlin-Brandenburg (GLADT): „Meine Prognose: große Koalition. Wenn die nicht zustande kommt: Jamaika. Wenn das auch nicht klappt: Neuwahlen. Wünschen würde ich mir aber, dass die Linke einlenkt und mit Rot-Grün koaliert.“

Dieter Scholz

DGB-Chef Berlin-Brandenburg: „Das Ergebnis der Wahl zeigt: Die Mehrheit der Deutschen will eine Politik, die den Sozialstaat stabilisiert und sich sozialer Gerechtigkeit verpflichtet fühlt, also keinen Zwang gegen Arbeitslose und keine Studiengebühren, um zwei Beispiele zu wählen. Wir brauchen eine ‚Koalition für Arbeitnehmer‘, die die Standortqualitäten der Mitbestimmung sowie der Tarifpolitik schätzt. Die neoliberalen Eliten werden sich nicht durchsetzen mit ihrer Systemveränderung in Richtung Sozialdarwinismus.“

Arno „Dagobert“ Funke

Karikaturist und ehemaliger Kaufhauserpresser: „Ich bin grad im Zoo und gucke mir die wirklich großen Tiere an! Also, am liebsten hätte ich, dass die Politiker zur Vernunft kommen, wobei es wurscht ist, von welcher Seite. Ich würde mir wünschen, dass sie mehr ans Land denken als an ihre eigenen parteipolitischen Spielchen, die sie treiben. Ich hätte gern eine Koalition, bei der sich auch etwas durchsetzen lässt. Das wäre dann ja eigentlich eine große Koalition – wenn sie sich denn einigen könnten. Von mir aus könnten auch die Grünen dabei sein. Aber ich befürchte, dass das Land unregierbar wird.“

Sarah Wiener

Spitzenköchin: „Wer uns an Weihnachten regiert? Wenn’s nach mir ginge: Grün-Gelb. Die Grünen wegen der Ökologie, die FDP wegen ihres Steuerkonzepts. Schröder habe ich immer geschätzt, aber sein selbstherrlicher Auftritt nach der Wahl war unverschämt. Schon wegen dieser Nummer sollte Frau Merkel regieren. Wahrscheinlich ist aber etwas anderes: Die Union lässt Merkel fallen und macht einen Deal mit der SPD – große Koalition, zwei Jahre regiert Schröder und zwei Stoiber.“

Tim Laumeyer

Sprecher der Antifaschistische Linke Berlin (ALB): „Ich glaube, dass die Jamaika-Koalition kommt. Inzwischen sind ja selbst die Grünen in Deutschland angekommen. Wenn das nicht klappt, kommt die große Koalition. Denn noch mal Neuwahlen wird sich die CDU nicht leisten. Eine große Koalition ist auch mein persönlicher Wunsch. Dann hätte die SPD weniger Möglichkeiten, sich als linke Kraft zu präsentieren. Das ist sie nämlich schon lange nicht mehr.“

Simon K.

Bademeister im Prinzenbad: „Ich fürchte, Weihnachten wird uns die Merkel als Chefin einer großen Koalition regieren. Und der Müntefering wird wahrscheinlich den Außenminister machen. Meine Wunschregierung wäre auch eine große Koaltion, aber ohne die Merkel und den Schröder. Die beiden müssten komplett weg. Bei der CDU wäre mir dieser Christian Wulff aus Niedersachsen ganz lieb. Und bei der SPD? Au Backe, das ist jetzt schwierig. Irgendeinen Jungscher, der noch ein bisschen Ehrgeiz hat. Am besten würde mir der Platzeck aus Brandenburg gefallen. Ja, Wulff und Platzeck, das wär’s!“

Markus Jehle

Leiter des Astrologie-Zentrums Berlin: „Der Planet Mars ist in den nächsten Wochen rückläufig. Das spielt eine wichtige Rolle bei der Deutung der künftigen Machtverhältnisse. Bei den Beteiligten brechen alte Wunden und Verletzungen auf, längst vergessene Aggressionen kommen hoch. Deshalb wird es mit Schröder und Merkel keine Einigung geben. Ich tippe auf Neuwahlen, danach gibt’s eine große Koalition mit neuem Personal – zum Beispiel mit Wulff und Steinbrück. Alle anderen Bündnisse, ob Ampel oder schwarze Ampel, sind astrologisch gesehen brüchig und würden höchstens ein, zwei Jahre halten.“

Manfred Schulz

Taxifahrer: „Gestern hab ich gedacht, mir platzt der Kopf: alle, die ich gefahren hab, quatschten nur über die möglichen Koalitionen. Ich glaube, es läuft auf Jamaika hinaus. Klar – Grün und Schwarz, das wird nicht lange gut gehen. Die schlagen sich bestimmt tot am Kabinettstisch. Aber ich hab da meine eigene These: Merkel wird bei Schwarz-Grün-Gelb knapp Kanzlerin, um im Februar schon zurückzutreten. Dann gibt es Neuwahlen mit dem Kanzlerkandidaten Christian Wulff. Der gewinnt und mit ihm Schwarz-Gelb. Das wäre meine Traumkoalition, denn in den sieben Jahren Rot-Grün ist nichts passiert. Es muss aber aufwärts gehen.“

Bahattin Kaya

Vorsitzender der Türkisch-Deutschen Unternehmervereinigung Berlin: „Ich halte eine große Koalition für die wahrscheinlichste Möglichkeit. Die zweite wäre eine Ampel, also Rot-Gelb-Grün. Das „Jamaika-Modell“ kann man ausschließen, glaube ich. Die türkisch-stämmigen Unternehmer denken da politisch nicht viel anders als die deutschen Kleinunternehmer und Mittelständler: Schwarz-Gelb wäre die beste Lösung gewesen, aber das hat ja nicht geklappt. Nun wäre eine große Koalition sicher die beste Lösung für Deutschland. Das Problem dabei ist ja auch nicht der Konsens, sondern das Personal.“

Marc Weiser

Musiker bei Rechenzentrum: „Ich glaube, es läuft auf eine große Koalition hinaus – wahrscheinlich unter Merkel. Aber alles ist möglich – nur die Jamaika-Lösung kann ich mir kaum vorstellen. Wünschen würde ich mir, dass die alte Regierung noch eine Chance bekommt. Sie hat doch viele Reformen auf den Weg gebraucht – wenn auch nicht in der Form, wie man sich das gewünscht hätte. Rot-Grün wäre gut für die Stimmung im Land.“

Angelina Natale

Weihnachtsfrau bei weihnachtsmann-berlin.de: „Himmlischer Vorschlag 1: Rot der Weihnachtsmann, Grün der Weihnachtsbaum, mit gelben Geschenken dran, fertig ist der Weihnachtstraum. Vorschlag 2: Volkes Wünsche werden wahr. Beide (!) sind ein Paar. Weihnachtsfrau und Weihnachtsmann sind Kanzlerin und Kanzlermann. Vorschlag 3: Ohne Rot schwer zu denken wohl das Fest, doch auf Jamaika, die Farben in anderem Licht erscheinen lässt, und Schwarz, Gelb, Grün so fern überm Meer, bringen hoffentlich mehr als ’ne frische Brise her.

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