strafplanet erde: erschellt an der kalauer-mauer von DIETRICH ZUR NEDDEN
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An diesem bedeutungsschwangeren Wochenende inmitten eines klimakterisch behaglichen Altweibersommers bin ich mir schließlich so steindumm und beschränkt vorgekommen, dass es mir nicht gelungen wäre, die ersten drei Buchstaben des Abc aufzusagen. Gefühlt hab ich mich wie der formkrisengeschüttelte Fußballprofi, den sein Trainer aufgefordert hat, in sich hineinzuhorchen: „Trainer, das hab ich schon versucht. Da ist nichts.“

Zunächst war ich für einen Freund eingesprungen, der einen Job auf der EMO ergattert hatte. Jener Freund, dessen Sprachduktus zur Verkürzung neigt, der O-Saft sagt und „Hast du ’n Asso dazu?“, weil Assoziation zu lang ist. Oder er sagt eben: „Von der EMO her ist heut nix los mit mir.“ Wahrscheinlich hab ich deshalb das Asso gehabt, bei der EMO würde es sich um etwas handeln, das „ganz viel Emoción“ hat, um mit Ailton zu reden. Dabei ist EMO eine Werkzeugmaschinen-Messe, Schweiß- und Fertigungstechnik. Hat sich was mit Emoción. Desto mehr davon am Sonntag, als mein Einsatz als Aufsichtsperson und Stimmenzähler im Wahlbezirk 42 auf der Agenda gestanden hat: Innerhalb von 24 Stunden avanciert vom Parkplatzwächter auf dem Messegelände zum Tiptop-In-’n’-Outdoor-Rechercheur direkt live vor Ort, was im normalen Leben eine Blindenschule ist. In unserem Wahlkreis hat „4D“ kandidiert, das ist Dr. Diether Dehm-Desoi, den wenige als Liedermacher Lerryn kennen, manche als Mitverursacher solcher Wucherungen wie „1.000-mal berührt“, „Sieben Tage lang“ und „Aufstehn“, und den man ungestraft „Stasi-Informant“ nennen darf. Ihn als ominöse Knalltüte zu bezeichnen dürfte den Kasus nicht annähernd exakt beschreiben. E’ fiese Möpp schon eher. Den Wahlhilfekompetenzteams der Region hat er eingedenk der hitverdächtigen Zeilen „Was wollen wir trinken? So ein Durst“ morgens je eine Kiste Wodka vorbeigebracht. Wodka heißt Wasser, „das weiche Wasser bricht den Stein“, den Vers hat er sich mal für eine SPD-Hymne bei Brecht ausgeliehen. Bei uns Wahlhelfern hat es dann ziemlich schnell Zoom gemacht. Es heißt ja auch Wahllokal.

„Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen … Prosit“, hat ein Oberstudienrat unter uns Schiller zitiert, und das hat dann gleich allen eingeleuchtet. Außerdem hatte die Stadtverwaltung versehentlich einen Kiffer berufen. Der ist schon breit eingetroffen und hat gesagt, er würde für eine Jamaica-Koalition sorgen, wir würden staunen!

Sobald jemand reingekommen ist, haben wir uns zusammengerissen. Ein bisschen irritiert waren die Wählerinnen und Wähler aber schon. Wenn niemand da gewesen ist, haben wir die Zettel aus der Urne gefischt und korrigiert oder Papierflugzeuge gefaltet, der Kiffer hat Joints gedreht oder „Die Partei des maßlosen Fortschritts in den Grenzen der Gesetze“ angekreuzt, solche Sachen. Am Ende hat die Partei Bibeltreuer Christen 45 Prozent gehabt und die MLPD 30. Oder umgekehrt, ist alles etwas verschwommen. Als der Wahlbezirksleiter vorbeigeschaut hat, ist die Orgie aufgeflogen, aber er hat das unterm Deckel halten können. Ich hab mich dann nach Hause getrollt und Elefantenrunde gekuckt. Was war bloß mit Schröder los?