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Grusel statt Predigt

Ohren spitzenFast so gut wie Theater: Eine Hildesheimer Kirche und das nahe Schloss Marienburg bieten Hörspiele live für alle

Draußen hören

Hörspiele in der Martin-Luther-Kirche in Hildesheim, Peiner Str. 53, bis Ende Juli. So, 17 Uhr; Di, 20 Uhr; Do, 16 Uhr

Am 30. 7. findet am Kaliberg in Ronnenberg-Empelde bei Hannover das Hörfest statt

Im Innenhof von Schloss Marienburg bei Hannover findet am 25. 8. das Live-Hörspiel „Dracula“ und am 26. 8. „Jack the Ripper“ statt, jeweils um 20 Uhr (www.lauscherlounge.de) JOG

Bunte Liegestühle vor den Kirchenbänken, Kissen auf den Stufen hin zum Altarraum, ein Schaukelstuhl, daneben Tische mit Getränken – in der Hildesheimer Martin-Luther-Kirche können es sich Besucher derzeit gemütlich machen. Das Gotteshaus präsentiert sich im Juni und Juli dreimal in der Woche als Hörspielkirche. Aus den beiden Lautsprechern dringen wimmernde, knarzende, pfeifende, knackende und zischende Geräusche, die durch die besondere Akustik eines hohen Kirchenraumes ihre besondere Wirkung entfalten, wenn für Jung und Alt spannende Geschichten erzählt werden.

Dabei sind oft auch bekannte Stimmen – etwa die des „Tatortreinigers“ Bjarne Mädel – zu hören, der vergangenen Sonntag im Hörspiel „Käferkumpel“ einen einfältigen Gauner spielte.

Allein das Publikum fehlte bei dieser NDR-Produktion für Kinder ab zehn Jahren: Bei schönstem Wetter blieb die Kirche leer, trotz freien Eintritts. „Die Resonanz ist ganz unterschiedlich. Eine Vorstellung ist bislang ausgefallen, manchmal sind hier auch 20 Zuhörer. Die Workshops, in denen Kinder und Erwachsene selber Hörspiele produzieren konnten, die wir hier auch vorstellen, waren ausgebucht“, sagt Verena Schröder vom Hörspielteam. Veranstalter der Hörspielkirche ist das lokale Radio Tonkuhle.

Thomas Birker kennt sich mit Hörspielen aus – der Inhaber von Dreamland-Productions aus dem hessischen Nidderau produziert selbst welche: „Kinder hören auch noch heute die Kriminalreihe TKKG. Es ist aber schwieriger geworden, sie zu erreichen, denn nur Hören oder nur Lesen wird angesichts der Flut von Bildern immer langweiliger. Wir hatten mit unserer Kinderproduktion ‚Trotzkopf‘ keinen Erfolg. Bei den Erwachsenen läuft es dagegen gut, auch wenn ich immer mal höre: ‚Hörbücher – ist das nicht etwas für Kinder?‘“

Birker stellte kürzlich auf der Messe „Hörmich“ in Hannover gemeinsam mit vielen anderen Verlagen, Produzenten und Autoren seine neuesten Hörspiele und Projekte vor. „Das Hörspiel ist nur in Deutschland ein eigenes Medium. Dabei gibt es sehr unterschiedliche Formen. Das Hörspiel im Radio, das eher getragen daherkommt, hat eine andere Anhängerschaft als die Szene, die hier in Hannover vertreten ist“, sagt Birker und ergänzt: „Die Radiohörspielmacher würden uns vermutlich vorwerfen, dass wir zu effekthascherisch, zu schnell und zu laut sind.“

Der Film- und Hörspielverlag Pidaxfilm präsentierte in Hannover historische Hörspiele etwa nach Vorlagen von Francis Durbridge oder Karl May. Kostenpunkt zehn bis 15 Euro pro CD. „Unsere Kunden sind etwas älter, und Krimis sind bei ihnen am meisten gefragt. Der Autor ist dabei nicht so wichtig wie der Sprecher. Die Namen von einst bekannten Fernseh-Kommissaren wie Siegfried Lowitz oder Hansjörg Felmy ziehen bis heute“, sagt Timo Schröder aus Lehrte, Creative Director beim fünf Mitarbeiter zählenden Verlag, der vor allem auf den Vertrieb von DVDs mit historischen Filmstreifen spezialisiert ist. Von den Sendern werden dafür Lizenzen erworben.

„Der Verkauf verlagert sich zunehmend ins Internet, denn Anbieter wie Saturn bauen ihr Angebot an DVDs und CDs ab“, sagt Schröder. Im Internet werden die Hörspiele auch als Download angeboten. Gegenüber großen Verlagen sieht sich Schröder im Vorteil: „Andere Labels haben fünf- und sechsstellige Auflagen. Wir beginnen ab 1.000 Stück und können so auch Dinge wagen, an die sich andere nicht trauen.“

Die meisten Aussteller auf der „Hörmich“ setzen eigene Stoffe um, vor allem Thriller, Horror- und Gruselgeschichten. Ein typischer Anbieter ist die RRR Audiovisuelle Medien aus Wittingen. „Ich habe seit 2013 vier Hörspiele geschrieben und produziert. Für die Aufnahme wird ein professioneller Sprecher engagiert. Der Hörspielboom kurz nach der Jahrtausendwende ist leider vorbei, das Geschäft ist härter geworden“, sagt Lars Dreyer-Winkelmann, der das Ganze nebenberuflich betreibt.

Auf die Produktion „Ein Job wie jeder andere“, in der die Arbeit einer Auftragsmörderin sehr plastisch geschildert wird, gab es unterschiedliche Reaktionen. „Einige haben uns vorgeworfen, die Darstellung sei zu brutal gewesen. Doch es gab auch Lob dafür, dass wir uns als kleines Label etwas getraut haben, woran sich größere nicht gewagt hätten“, sagt Dreyer-Winkelmann.

Marc Schülert aus Lüneburg hat zusammen mit Detlef Tams aus Hamburg und Dirk Hardegen aus Fulda „Ohrenkneifer“ gegründet. „Jeder von uns ist als Regisseur, Autor, Sprecher und Musiker tätig. Jeder entscheidet für sich, was er machen möchte, und die anderen beiden unterstützen ihn dabei“, erklärt Schülert das Arbeitsprinzip seines Künstlerkollektivs. Besonders erfolgreich war nach seinen Angaben die Vertonung der Bücher von Karl May. „Damit haben wir auch Menschen erreicht, die sonst nichts mit Hörspielen zu tun haben.“

Knapp zehn Milliarden Euro hat der Buchhandel in Deutschland 2016 umgesetzt. Davon entfallen nach Angaben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels 3,3 Prozent auf Hörbücher. Parallel zu Buchneuerscheinungen kommt oft auch eine CD auf den Markt – da kann man sich dann von prominenten Schauspielern wie Ulrich Noethen oder Iris Berben einen Roman spannend oder witzig vorlesen lassen und spart sich die eigene Lektüre. Auf der aktuellen Spiegel-Bestsellerliste finden sich unter den ersten vier Hörbuchtiteln drei CDs mit Aufnahmen von Marc-Uwe Kling, dem Autor der Känguru-Chroniken.Joachim Göres

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