„Als den Polizisten für ihren Einsatz gedankt wurde, klatschte die Linksfraktion im Gegensatz zu Grünen und SPD nicht“

Das bleibt von der Woche Der Untersuchungsausschuss im Fall Anis Amri nimmt seine Arbeit auf, der Senat lässt Verlängerungen von U-Bahnlinien prüfen, die Initiative für mehr Videoüberwachung will einen Volksentscheid, und der Einsatz von Berliner Polizisten beim G20-Gipfel sorgt weiter für Diskussionen

Wo bleibt die große Aufregung?

Polizeiversagen bei Amri

Es sind in diesem Fall die Gesetzeshüter selbst, die Gesetze missachtet haben

Nun gibt es also auch noch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Fall Amri, der sich am Freitag zur konstituierenden Sitzung traf. Er soll ergänzen, was der vom Senat eingesetzte Sonderermittler Bruno Jost und die internen Ermittlungen des LKA darüber ergeben, welche „Pannen“ der Berliner Polizei dazu führten, dass der aus Tunesien stammende Asylbewerber Anis Amri auf einem Berliner Weihnachtsmarkt zwölf Menschen töten, weitere schwer verletzen und das erste schwere islamistische Attentat in Deutschland verüben konnte.

Dass Landesregierung, -parlament und -behörden das offenbar umfassend aufklären wollen, ist löblich – aber auch dringend geboten. Denn das, was da offenbar passiert ist, ist schlicht und einfach ein Riesenskandal. Und dabei ist es fast egal, ob dem Ganzen – wie es der Anfang Juli vorgestellte Zwischenbericht des Sonderermittlers Jost nahelegt – nur „Fehlverhalten“ von ein oder zwei LKA-Beamten zugrunde liegt. Oder ob die Aktenmanipulationen, die Amris Straftaten herunterspielten und so seine Festnahme verhinderten, Behördenalltag sind.

Es waren Polizei(!)beamte(!), die – warum auch immer – massiv gegen alles verstoßen haben, was Kern und Sinn ihrer Aufgabe und der ihnen zu deren Erfüllung zugesprochenen Sonderrechte als Staatsdiener ist. Statt sich ihrer besonderen Rolle und der damit verbundenen Verantwortung entsprechend zu verhalten, haben die Beamten – im besten Fall – gemäß gängigen Klischees über ihren Beruf gehandelt. Observieren? Okay – wenn jemand Zeit hat. Festnehmen? Puh, anstrengend … Da manipuliert man lieber ein paar Akten.

Dass solche Rechtsverstöße in deutschen Sicherheitsbehörden vielleicht noch ganz andere Motive und auch andere Ausmaße haben, muss man seit dem vermuten, was Untersuchungsausschüsse zu den Ermittlungen gegen den NSU zutage brachten.

Wie es diesbezüglich in Berlins Polizeistuben aussieht, wird demnächst hoffentlich auch der Untersuchungsausschuss erhellen. Angesichts der aufgeregten Debatten über andere kriminelle Taten (Krawalle in Hamburg, Gewalt in U-Bahnhöfen) wünschte man sich dennoch auch hier mehr öffentlichen Druck. Noch mal: Es sind in diesem Fall die Gesetzeshüter selbst, die Gesetze missachtet haben. Alke Wierth

Den Anschluss verloren

Tegel, BER und die U-Bahn

Rot-Rot-Grün agiert in der Tegel-Debatte bisher ziemlich hilf- und orientierungslos

Es gehört zu den Absurditäten der bisherigen Debatte über die Zukunft Tegels, dass ausgerechnet der Regierende Bürgermeister bisher das beste Argument geliefert hat, beim Volksentscheid für eine Offenhaltung des Flughafens zu stimmen. ­Michael Müller (SPD) hatte zuerst im Interview mit der taz ­angekündigt, sich im Falle ­einer Mehrheit für Tegel für eine ­bessere Anbindung des BER einzusetzen, zum Beispiel durch eine Verlängerung der U-Bahn­linie 7 von Rudow bis zum Flughafen. Selbst Tegel-Gegner können da eigentlich nicht Nein sagen.

Dazu muss man wissen: Müller gehört wie der gesamte Senat zu den Gegnern einer Offenhaltung. Er hat auch angekündigt, selbst bei einer Mehrheit für Tegel den Flughafen zu schließen, sollte der BER einmal aufmachen. Dazu muss man auch wissen: Der Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün sieht keinen Ausbau des U-Bahnnetzes vor, sondern den des Tramnetzes. Und kein Verkehrspolitiker der Koalition hat Müllers Vorstoß jubelnd begrüßt, auch nicht Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für die Grünen). Selbst die BVG reagierte sehr verhalten.

Am Dienstag beschäftigte sich der Senat dennoch mit dieser und anderen möglichen Verlängerungen einiger U-Bahnlinien. Das Ergebnis: Einige Möglichkeiten würden „geprüft“, darunter auch die U7. Deren Ausbau bis zum BER-Terminal sei aber aus baulichen Gründen so gut wie unmöglich; höchstens bis nach Schönefeld könnte sie eventuell führen, wie nach der Sitzung explizit betont wurde. Das wiederum ergibt eigentlich keinen Sinn: Dort müsste man dann wieder in einen Shuttlebus oder Ähnliches umsteigen. Der Zeitgewinn wäre dahin.

Offensichtlich wurde Müller mit seinen forschen Ausbauplänen von den eigenen Leuten ausgebremst. Für sein Ansehen in der Koalition ist das problematisch. Und für die bereits bisher flügellahme Anti-Tegel-Kampagne von Rot-Rot-Grün bedeutet das einen herben Rückschlag. Zwar ist nun eine der Absurditäten des Abstimmungskampfs korrigiert: Müller wirbt nicht mehr unbeabsichtigt für ein Ja. Aber es zeigt, wie hilf- und orientierungslos die Koalition in der Tegel-Debatte agiert.

Bert Schulz

Flächen­deckend ist was anderes

Videoüberwachung

Müller dürfte insgeheim froh sein über die Initiative von Heilmann und Co

Man nähert sich merklich an beim Thema Videoüberwachung. Was die Gruppe um Exjustizsenator Thomas Heilmann und Exbezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky – der eine liberaler CDUler, der andere konservativer SPDler – am Dienstag vorgestellt hat und per Volksbegehren durchsetzen will, ist keine Lichtjahre von der Haltung von Regierungschef Michael Müller (SPD) entfernt. Was der nämlich jüngst gegenüber der taz ablehnte, war nicht die Videoüberwachung an sich, sondern eine lückenlose. Wozu solle es gut sein, in Reinickendorf oder in Lichtenrade flächendeckend Kameras aufzuhängen?, fragte Müller in unserem Interview.

Das aber fordern Heilmann und Buschkowsky überhaupt nicht. Genauso wie Müller wissen sie, dass davon nur Kamerahersteller und -monteure profitieren würden. Stattdessen wollen sie Kameras an Kriminalitätsschwerpunkten. Nichts anderes will aber auch Müller in Sachen Videoüberwachung. Zitat Interview: „Wir müssen die Chance haben, es dort zu tun, wo es nötig ist.“

Genauso weit war Müller schon einmal im Frühsommer 2016, als er noch mit der CDU regierte, er eine entsprechende Gesetzesänderung im Senat bereits unterstützt und Journalisten vorgestellt hatte, sie aber in der SPD-Fraktion nicht durchsetzen konnte.

Strittig ist allein der Umfang einer solchen Überwachung per Kamera: Heilmann und Buschkowsky reden von fünfzig Kriminalitätsschwerpunkten, Müller von „etwa zehn Orten in der Stadt“. Selbst fünfzig davon sind in einer Dreieinhalb-Millionen-Stadt weit weg von einer flächendeckenden Überwachung, auch wenn sinnigerweise nicht einfach vier auf jeden Bezirk verteilt werden, sondern möglicherweise am Ende die Hälfte der Kameras in Kreuzberg, Neukölln und Mitte hängt.

Müller dürfte insgeheim froh über die Heilmann-Buschkowsky-Initiative sein: Sie macht seine Haltung, die einigen seiner eigenen SPD-Freunde schon zu weit geht, zu einer moderaten Mittelposition. Ein drohender Volksentscheid dürfte es dem Regierenden Bürgermeister leichter machen, die Zahl von zehn zu überwachenden Orten aufzustocken und Heilmann und Buschkowsky als Kompromiss anzubieten. Die müssten dann zwangsläufig annehmen: Denn einen Volksentscheid kann man nur mit einem klaren Entweder-Oder-Thema à la Tegel gewinnen, nicht aber mit einem Streit um ein paar Kameras mehr oder weniger, wenn in der Grundfrage Einigkeit herrscht.

Stefan Alberti

Senat und Polizei: Es kriselt

G20-Gipfel in Hamburg

Insbesondere für die Linkspartei ist das Verhältnis zur Polizei schwierig

Zeitungen und Politiker überschlugen sich in dieser Woche fast vor Anerkennung für die Berliner Polizei: Die – zweifelsohne tatsächlich harten – Bedingungen des Einsatzes zum G20-Gipfel in Hamburg wurden hoch- und runtergeschrieben, gleichzeitig wurde immer wieder auf die besondere Erfahrung der Berliner Beamten hingewiesen, auch in Abgrenzung zu dem von vielen als verfehlt kritisierten Einsatz in Hamburg. Mit den Zahlen verletzter Polizisten wurde auch dieses Mal wieder Politik gemacht. Die am Dienstag nachgereichte Information, dass von den 133 in Hamburg verletzten Berliner Beamten 126 ihren Dienst fortsetzen konnten, ging dabei in der allgemeinen Empörung über den hohen Anteil von Berliner Kräften an den in Hamburg verletzten Polizisten insgesamt nahezu unter.

Die breite öffentliche Unterstützung für die Behörde kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zwischen dem rot-rot-grünen Senat und der Polizei kriselt. Das zeichnete sich schon bei der Räumung des linken Kiezladens Friedel54 in Neukölln ab, als mehrere Politiker von Linker und Grünen den von Beobachtern als ungewöhnlich brutal beschriebenen Polizeieinsatz kritisierten.

In dieser Woche nun erhoben Nachwuchspolitiker aus den Jugendorganisationen der Linkspartei sowie der Grünen schwere Vorwürfe: Sie sollen auf dem Rückweg von den G20-Protesten in Hamburg an einer Raststätte in Brandenburg von Berliner Beamten drangsaliert worden seien. Gegen zwei Beamte wird nun wegen Körperverletzung und Beleidigung ermittelt. Sollte sich der Verdacht erhärten, muss sich die Regierung klar auf die Seite der Jugendlichen stellen.

Insbesondere für die Linkspartei ist das Verhältnis zur Polizei schwierig: Kritisiert sie diese als Regierungspartei ebenso scharf wie früher aus der Opposition heraus, macht sie sich unglaubwürdig. Tut sie es nicht, macht sie sich bei ihren An­hängern unbeliebt.

Als den Polizisten in dieser Woche für ihren Einsatz gedankt wurde, klatschte die Linksfraktion im Gegensatz zu Grünen und SPD nicht – mit solcherlei Symbolpolitik wird sie dem Konflikt aber nicht entgehen können. Die für die nächsten zwei Jahre geplante, insbesondere von der Linken vorangetriebene Lockerung des Vermummungsverbots, dürfte in der Polizei auf starke Widerstände stoßen. Und könnte so noch einen Koali­tions­krach zwischen den Regierungsparteien heraufbeschwören, die in Sachen Polizei gerade noch eher herumlavieren als einen geschlossenen Eindruck vermitteln.

Malene Gürgen