Grau gewordener Lümmel

FRANKFURT taz ■ Was hat er vor, der alte Fuchs? Denn Joseph Martin Fischer, 57 Jahre alt, Vollblutparlamentarier seit 1983, hat bisher nur einmal, ganz am Anfang seiner Karriere, die zweite Geige gespielt. Bis 1985, ehe er hessischer Umweltminister wurde, war er nur der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im Bonner Bundestag. Sein Chef, damals noch Grüner, war der heutige Innenminister Otto Schily.

Eines jedenfalls steht kaum zu vermuten: dass der Realpolitiker seinen eigenen Leuten die Daumenschrauben anzieht, zum Kampf um den Erhalt der Regierungsbeteiligung bläst und damit weit subtiler als Gerhard Schröder auf seinem Amt beharrt. Eine derartige Koalitionserzwingung würde derzeit auch Schröder zu sehr schaden.

Grüne Repräsentanten haben in den vergangenen Wochen oft gesagt, dass sie sich auch gut in der Opposition einrichten könnten. Manche wirkten dabei fast erleichtert. Auch Fischer hat betont, dass er sich auf die Oppositionsrolle freuen könne.

Und vielleicht ist da ja auch Wahres dran. Denn unvergessen sind seine Reden als Bundestagsabgeordneter. Zum Beispiel in der Affäre um den irrtümlich als schwul geouteten Bundeswehrgeneral Günter Kießling 1984. Der zitatensichere Ausflug des erzogenen Katholiken Fischer in die pseudosakrale Militärmusik schrieb Parlamentsgeschichte. Er rief: „Wir beten an die Macht der Liebe!“

Und es kann einem wie Fischer ja auch gar nicht immer Spaß gemacht haben, seiner Glanzrhetorik die weltpolitischen Zügel anzulegen, runterzuschlucken, was er manchmal am liebsten hätte sagen wollen. Das hat ihn oft genug sichtlich genervt, auch wenn er sich auch gern als großer weltgewandter Diplomat sah. Nach der Wahl war ihm das Vergnügen anzumerken, als er vor sich hin visionierte über die Schwampel, Jamaika-Koalition mit „Dreadlocks und Tüte“. Ach ja, so etwas sagt man nicht als Außenminister, sondern als Joschka Fischer, der damals zum CSU-Bundestagsvizepräsidenten Richard Stücklen rief: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!“ Den Ordnungsruf nahm er wie eine Auszeichnung entgegen.

Joschka Fischers antiautoritäre Vergangenheit, in der der Zwischenruf als eine hohe Kunst geübt wurde, blitzte jüngst erst wieder auf auf, wenn er bei Wahlkampfveranstaltungen Gegenwind bekam, witziger sein konnte als die da unten im Parkett und die Gelegenheit bekam, die Kontrahenten von oben herab ordentlich abzumeiern.

Trotzdem ist es schwer zu glauben, dass er sich die nächsten wie viele Jahre auch immer in Berlin als Hinterbänkler, sozusagen als grau gewordener Lümmel von der letzten Bank, einrichten möchte.

Vielleicht hat ihn in den letzten Wochen etwas geärgert, vielleicht gibt er wirklich dem Nachwuchs eine Chance oder will einfach das Leben genießen? Es darf so lange spekuliert werden, bis er selbst seine Motive verrät. Zuzutrauen ist ihm viel. Immer hat er viel erreichen wollen. Bundeskanzler kann er realistischerweise nicht werden. Aber die Welt als Politikfeld ist auch sonst groß genug. HEIDE PLATEN