Dreamteam auf zwei Rädern

Integration Seit 1986 gibt es das Blindentandem: Sehende fahren weniger Sehende durch die Stadt

Luftdruck stimmt, Sattelhöhe passt, Bremsen funktionieren: Vor der Garage stehen zehn Tandems bereit. Die Paare werden eingeteilt, Dirk sitzt vorn, Jürgen hinten. Dass der Vordere sieht, der Hintere blind ist, lässt sich nicht so einfach ausmachen. Zu erkennen ist es vor allem an dem Blindenzeichen, einem gelben Kreis mit drei schwarzen Punkten, hinten am Gepäck­träger. Die Tandemgruppe des Berliner Blinden- und Sehbehindertensportvereins trifft sich zur wöchentlichen Ausfahrt.

Dem Piloten Dirk geht es in erster Linie ums Radfahren und um die Begegnung. „Dass jemand blind oder sehbehindert ist, spielt für mich keine entscheidende Rolle“, erzählt der 54-Jährige. Jürgen fährt mit, so oft es geht. „Tandemfahren ist fast der einzige Sport, den ich machen kann“, sagt der 61-Jährige. Auch privat hat er ein eigenes Tandem, auf dem er mit seiner Lebensgefährtin unterwegs ist – gerade waren sie auf der Ostseeinsel Usedom. Dass die Räder nicht auffälliger gekennzeichnet sind, findet Jürgen gut. „Wir wollen ja nicht unser Blindsein spazieren fahren.“

Verstehen fast ohne Worte

Jürgen und Dirk verstehen sich fast ohne Worte. Bei Sonnenschein und blauem Himmel radeln sie durch den Grunewald im Südwesten Berlins, vorbei an Seen und Ausflugslokalen. Passanten bleiben stehen und blicken den Tandems hinterher, die wie an einer Schnur aufgereiht auf dem Fahrradweg fahren. Dann ruft jemand laut „Vorsicht, Poller!“, die Radler recken die Köpfe und umkurven das Hindernis. Als eine Straße überquert wird, steigen alle ab und schieben die Tandems auf die andere Seite – Autos halten an und lassen die Gruppe passieren.

Steffen Kruschwitz und seine Freundin Liane Taczkowski leiten das Berliner Blindentandem, das es seit 1986 gibt. Er ist auf dem linken Auge blind, mit rechts sieht er noch etwa 30 Prozent. „Ich achte auf meine Umwelt ab und an mehr als der Sehende. Der Pilot hat dann manchmal etwas gar nicht mitbekommen, aber er soll sich ja auch auf die Strecke konzentrieren.“

Vertrauen ist wichtig

Liane kann noch zwischen hell und dunkel unterscheiden, sie benutzt einen Blindenstock. Das Tandemfahren mit der Gruppe bedeutet ihr viel. Fast hätte sie nach einem Unfall im vergangenen Jahr damit aufgehört. „Dann habe ich mich überwunden und mich durchgekämpft“, erzählt die 51-Jährige. „Ich fahre wieder, der Donnerstag schlägt alles andere.“

Damit möglichst nichts passiert mit den insgesamt 17 Tandems des Vereins, haben die Berliner ein paar Regeln festgelegt. Dazu gehört eine Helmpflicht. Und ein vorsichtiger Umgang, denn die Doppelsitzer sind ziemlich empfindlich – besonders die Schaltungen mit ihren langen Bowdenzügen. Nicht jeder eignet sich als Pilot, wichtig sind Vertrauen und Teamwork. Es geht darum, viel miteinander zu sprechen, falls das Rad stoppen muss, eine Steigung kommt oder plötzlich ein Hindernis auftaucht. Iris Auding/dpa