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Mein Leben mit der ÖkobilanzEin Albtraum in Kackbraun

Wir retten die Welt

Von Marcus Franken

Bei uns zu Hause bahnt sich eine strategische Verwerfung an: eine Allianz zwischen meiner lebensfrohen Frau und Öbi, der ewig grummelnden Ökobilanz. Normalerweise reden sie nicht miteinander. Aber dann sagte meine Frau: „Wir sollten uns endlich eine Mikrowelle kaufen.“ Äußerlich blieb ich stoisch wie Harry Bosch, der Mann aus der Amazon-Serie. Aber mein Innerstes war wie eingefroren.

Ich hasse Mikrowellen, ich bin damit nicht alleine. 70 Prozent der Deutschen haben so ein Ding. Aber ich kenne praktisch keinen Mann, der jemals für die Anschaffung gestimmt hätte. Bestenfalls ist man nicht dagegen.

Ich bin traumatisiert. Als Kind habe ich versucht, Toast Hawaii mit Ananas, Schinken und Käse in der Mikrowelle zu machen. Aber Mikrowellen können weder knusprig noch Röst­aroma. Das Ergebnis schmeckt wie alter Badeschwamm mit Pipi-Aroma.

Die Kolleginnen im Büro halten schwer dagegen: Das Gerät sei „unglaublich praktisch, wenn man Milch oder Kartoffeln für Kleinkinder warm macht“, sagt die eine, die selber Kochbücher schreibt, aber für den Moment ihren guten Geschmack vergessen hat.

Zum Glück sind unsere drei Kinder aus den Windeln raus. Und wenn Milchaufwärmen ein Argument für die Mikrowelle ist, bin ich ab jetzt gegen ein viertes Kind. Für das Weltklima sind Babys sowieso Gift. Und ich will meiner Frau keine Argumente pro Mikrowelle liefern.

Eine andere Kollegin im Büro erinnert sich daran, wie sie als Kind Schokoküsse in der Mikrowelle hat platzen lassen. Werdet erwachsen!

Ich bin ein Fan von Leere. „Lob des Schattens“ heißt meine ästhetische Bibel. Wenn man deren 96 Seiten mit „so wenig wie möglich und am besten hand gefertigt“ zusammenfasst, hat man nichts Wesentliches ausgelassen. Mein Credo lautet: „Das Gute ist schön. Das Schöne ist gut.“ Und wenn Öbi das durchrechnet, spendiert sie mir meist ein knappes Lob.

Aber für die Mikrowelle heißt das: Wenn sich die raumstehlende Hässlichkeit dieser klingelnden und bimmelnden Plastikkiste in Kackbraun mit der Ökologie verbündet, ist Doomsday nahe.

Zumal Öbi da durchaus nicht loyal ist. Unbestechlich, auch von Freundschaft, kennt sie nur die reinen Fakten. „Ich wusste immer, dass du mit deiner Ästhetik-Nummer nicht durchkommst“, mault sie zufrieden. Ihre notorische Schadenfreude ist von echter Lustigkeit fast nicht zu unterscheiden. Pedantisch rechnet sie mir vor: „Die Mikrowelle braucht nur halb so viel Strom wie ein Backofen. Wenn man darin die Brötchen aufbackt, die Pizza oder die Lasagne warm macht, spart man sogar Geld!“

Standby-Verbrauch und Leck-Strahlung – die Bannwörter der 1990er Jahre – seien heute so niedrig, dass ich sie als Argument vergessen könne.

Gerade will Öbi zum endgültig triumphierenden Vortrag über die segensreichen Wirkungen von EU-Umweltvorschriften ansetzen, als ich sie verzweifelt unterbreche: „Aber die Energie, die man zur Herstellung braucht!“ Sie bleibt stur: „Du willst es nicht wahrhaben, oder? Die Herstellung macht auf Dauer nur 10 bis 20 Prozent aus. Marcus, du kannst es drehen, wie du willst: Aus Umweltsicht spricht rein gar nichts gegen eine Mikrowelle.“

Ihr triumphaler Unterton passt zu meiner totalen Niederlage.

Es gibt nur eine Chance: einen Keil zwischen Frau und Öbi treiben. „Öbi“, sage ich darum beiläufig. „Nächsten Winter will meine Frau mit der ganzen Familie in den Urlaub fliegen. Nach Südafrika. Mindestens.“

Fliegen versaut die schönste Ökobilanz. Ich sehe, wie sich Öbis Gesicht versteinert. Jetzt ist wieder eine Weile Funkstille.

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