Zwischen Wirtschaftskrise und Klimawandel

Die EU will mit Entwicklungs­geldern in Nigeria gegen die Fluchtursachen angehen. Warumdas zu kurz greift

Blick auf Lagos, Nigeria, die größte Stadt in Afrika südlich der Sahara Foto: Foto:EPA/DPA

Von Mercy Abang

Die Europäische Kommission zahlt innerhalb eines Jahres 1,9 Milliarden Euro für 118 Projekte, um die Migrationsursachen anzugehen. Aber Entwicklungsprogramme und Spendengelder allein werden nicht helfen. Der Einfluss von Entwicklungsorganisationen in Afrika stößt an Grenzen – wegen der internen Strukturen, in denen Gelder in lokalen und ausländischen Kanäle veruntreut werden. Meist landet das Geld, das für Entwicklung vorgesehen ist, in den Händen europäischer Banker.

„Ostasien hat nie auf USAID, die Weltbank und andere gewartet, um sich zu entwickeln“, sagt Hamzat Lawal. Der 35-Jährige führt die nigerianische Nichtregierungsorganisation Connec­ted Development (CODE), die Geldüberweisungen nach Nigeria nachverfolgt. „Das Abhängigkeitssyndrom der meisten afrikanischen Länder hat zu schlechter Kirchturmpolitik mit wenig Anreizen zur Innovation geführt. Afrika ist zu lange als Kleinkind behandelt worden. Ineffektive Hilfsgelder und Zuschüsse haben Korruption und Konflikte angeheizt und soziale Investitionen gehemmt“, sagt Lawal.

Es gibt aber auch nigerianische Wissenschaftler, die anderer Ansicht sind: „Es geht hauptsächlich um Arbeitslosigkeit und fehlende soziale Absicherung“, sagt Adewunmi Emoruwa, Berater beim Thinktank Gatefield, der die Regierung berät. Er ist auch der Meinung, dass die EU einen einfachen, transparenten, aber prinzipientreuen Weg zur Staatsbürgerschaft für die irregulären Migranten schaffen sollte, die schon dort leben. „Ich würde sagen, Europa ist gealtert und könnte vom Zustrom produktiver junger Afrikaner profitieren. Es muss offen und engagierter sein“, sagt Emoruwa.

Bevor wir fragen, was afrikanische Regierungen tun, um die Migration nach Europa zu begrenzen, müssen wir uns fragen, was sie tun, um mit innerafrikanischen Wanderungen umzugehen. Innerafrikanische Migration erfasst viel mehr Menschen als jene von Afrika nach Europa. Angaben der UN-Migrationsagentur IOM (Internationale Organisation für Migration) zufolge gibt es 32 Millionen afrikanische Migranten in der Welt, etwa die Hälfte davon in Afrika selbst. Südafrika, Elfenbeinküste und Nigeria sind die drei häufigsten Zielländer. Das Problem ist, dass die meisten afrikanischen Regierenden viele Herausforderungen vor sich haben, die sie wichtiger finden als die Toten zwischen der Sahelregion und dem Mittelmeer.

Fatu Ogwuche sagt, dass in Nigeria „soziopolitische und wirtschaftliche Faktoren desillusionierte und verzweifelte junge Männer und Frauen aus dem Land treiben“. Der 27-Jährige bereist mit dem sozialen Unternehmen Election Network den ganzen Kontinent. „Sicherheit ist eher ein zweitrangiger Grund, weshalb Menschen das Land verlassen, um ein besseres Leben anzufangen.“ Nigeria erlebt eine der schlimmsten Wirtschaftskrisen in der Geschichte des Landes. Es ist unklar, wann das Land wieder eine stabile Wirtschaft haben wird. „Die Regierung hat keine schmerzlindernden Maßnahmen unternommen, um Nigerianern aus der Krise zu helfen“, sagt Ogwuche. „Nigerias Problem sind Jobs, Jobs, Jobs“, sagt auch Editi Effiong, Gründer der nigerianischen Digital­agentur Anakle.

Einen Hauptgrund für die Massenbewegung sehen viele auch in den Folgen des Klimawandels: Erosion im Osten, Entwaldung im Süden, Wüstenbildung im Norden aufgrund von wenig Regen, starkem Wind und vertrocknetem Boden sowie Überflutungen im Westen und anderen Gebieten Nigerias führen zu vielen Toten und Eigentumsverlusten. Soziale Konflikte verstärken Spannungen. Zum Beispiel in der zentral-nördlichen Region, wo der kleiner werdende Tschadsee Viehhalter zwingt, weiterzuziehen, um grüne Weiden zu finden. So kommt es zu Konflikten zwischen Viehhaltern und Bauern.

Dennoch gibt es viel Potenzial in Nigeria, das sich ausschöpfen ließe – wenn die Regierung willens ist, ihre Politik kurz- und langfristig zu verändern. Obwohl wirtschaftlicher Erfolg immer in politische Narrative verstrickt ist, gibt es in Afrika immer mehr vor Ort entwickelte Systeme, um wirtschaftliche Probleme mithilfe von Technologie einzudämmen. Die Auswanderungswilligen könnten bleiben, wenn gut durchdachte wirtschaftliche Eingriffe vorgenommen werden. Wenn das passiert, wird es nicht nur Afrika retten, sondern auch den Druck auf europäische Länder reduzieren.

Mercy Abang, 30, aus Nigeria, arbeitet bei NewsWireNGR.