WORTWECHSEL
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Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.

Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

Ich liebe einen Menschen

FARBENSPIEL Für viele ein Grund zum Feiern – die „Ehe für alle“ ist nun Gesetz. Aber ist gut geworden, was so lange gewährt hat? Brauchen wir die Ehe?

Leben muss bunt sein: Berlin am Tag der Entscheidung Foto: Björn Kietzmann

Rosa und Pink

betr.: Regenbogen-Titelseite,taz vom 1./2. 7. 17

Wie viele Farben hat eigentlich euer Regenbogen? Ihr berichtet von der „Ehe für alle“ und reduziert sie gleichzeitig auf Lesben und Schwule, also auf Männer und Frauen. Trans-, inter- und asexuelle Menschen fallen unter den Tisch, obwohl ihr immer wieder darauf hinweist, dass es sich bei der „Ehe für alle“ um ein Menschenrecht handelt, darum, allen Menschen gleiche Rechte zuzugestehen. Also entweder einen Regenbogen aus Rosa und Pink abbilden oder alle Menschen, egal welchen Geschlechts und welcher Sexualität, gleichermaßen in den Blick nehmen! JOHANNES HARTINGER, Oberhausen

Mein Mann

betr.: „Ein Happy End“, taz vom 1./2. 7. 17

Ich habe nach zwanzigjähriger Partnerschaft im April diesen Jahres meinen Partner „geheiratet“! Ich nenne meinen Partner seit diesem Tag nicht mehr meinen Partner, sondern meinen Mann. Die Diskussion über die „Homo-Ehe“ ist erbärmlich und armselig, denn waren es doch nicht nur SPD, Die Linke, B 90/Die Grünen und die FDP, sondern vielmehr unsere obersten Gerichte, die die Gleichstellung vorangetrieben haben. Unser Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof haben die Politik immer wieder getrieben. Allen Ewiggestrigen und Spießbürgern sei deshalb nochmals vor Augen geführt: Die Ehe ist eben nicht Mann und Frau vorbehalten: „Ich liebe kein Geschlecht, ich liebe einen Menschen!“

INGO ROCHUS SCHMITT, Bingen

Wut und Frust

betr.: „Lob des Wahlkampf­­manövers“, taz vom 28. 6. 17

Der Satz sitzt. „Mag sein, dass die Ehe für alle im Alltag wenig grundstürzend ändert. Als Symbol ist sie wichtig“, schreibt Stefan Reinecke. Wut und Frustration ballt sich in mir zusammen, während ich an diesem Tag, dem großen Tag im Kampf für Gleichstellung, den wir eigentlich feiern sollten, die Zeitung wieder vergeblich nach Antworten auf unsere großen Fragen absuche.

Was es heißt, überhaupt adoptieren zu müssen – das eigene Kind adoptieren zu müssen –, wird nicht thematisiert. Zugegeben, als Lesben mit gleich zwei Gebärmüttern sind wir sehr privilegiert gegenüber einem schwulen Paar, das ohne Adoption fast keine Möglichkeit hat, seinen Kinderwunsch zu erfüllen. Doch während die Ehe für alle endlich durchkommt und bejubelt wird, stecken wir gerade mitten in einem nun völlig absurd – noch viel absurder als ohnehin schon – wirkenden Stiefkindadoptionsprozess. Wir warten auf den Segen des Jugendamts und des Familiengerichts dafür, dass auch meine Frau unser Kind, das ihr seit einem Jahr den Nachtschlaf raubt und die T-Shirts vollkotzt, ihr Eigen nennen darf.

Werden wir nun, wenn wir ein zweites Kind bekommen möchten, in der Kinderwunschklinik nicht mehr wie illegale Bittstellerinnen behandelt, die direkt nach der unter der Hand durchgeführten Insemination auf die Straße gesetzt werden? Schlägt die ethische Empfehlung der Bundesärztekammer, uns zu diskriminieren, das Grundgesetz?

Wird es irgendwann auch für uns Zuschüsse zur künstlichen Befruchtung geben, wie schon seit Jahren in Schweden der Fall, oder sind heterosexuelle Paare in den Augen der Krankenkassengutachter doch gleicher?

Wird meine Frau kurz vor der Geburt keine Sorgerechtsverfügung schreiben müssen, um das Jugendamt gnädig zu stimmen, mir unser Kind zu überlassen, falls ihr etwas zustieße? Wird unser zweites Kind gleich zwei Eltern in seiner Geburtsurkunde stehen haben oder, wie unser erstes, erst einmal ein gutes Jahr lang existieren, als hätte es nur eine Mutter und sonst niemanden auf der Welt? Wird meine Frau dann auch keinen Aufklärungsbrief für alleinerziehende Mütter mit Kindern unbekannter Väter vom Jugendamt bekommen? Werde ich mein Kind nicht adoptieren müssen und mich dabei mit Gehaltsnachweisen der letzten zwei Jahre und einem psychologisch fundierten, lückenlosen Lebensbericht nackt ausziehen und anbiedern müssen? Werde ich nicht ein Jahr lang unsere Lebenspartnerschaftsurkunde im Portemonnaie herumtragen, um nachweisen zu können, dass ich mein Kind nicht gekidnappt habe, sondern dass auch ich zu dieser Familie gehöre?

Wird das deutsche Abstammungsrecht irgendwann der Realität angepasst, oder werden die Jugendämter – ganz im Sinne des Kindeswohls – weiter nach dem anonymen Vater suchen, statt die mit der Mutter verheiratete Frau als zweite Mutter anzuerkennen?

Wenn all das nicht passiert, dann würde die Ehe für alle in der Tat nichts ändern, dann wäre sie nicht einmal von symbolischem Wert.

SIMONE HENNING, Hamburg

Unglück

betr.: „Der Ehekrach vor der Wahl“, taz vom 28. 6. 17

Eine schlechte Institution, die Ehe, wird durch die Einverleibung der eingetragenen Lebenspartnerschaften nicht besser. Es gibt weiterhin Scheidungen und damit rechtlich unaufgeklärte Paare, die beim Scheitern der Partnerschaft angesichts unerwarteter Probleme bedauern, keinen Ehevertrag geschlossen zu haben. Denn leider gilt Rechtsanwaltszwang und damit eine verpflichtende Rechtsberatung erst am Ende der Ehe, nicht zu Beginn. Wer weiß schon, dass im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft laut Rechtsprechung jeder Partner bis zu 85 Prozent des gemeinsamen Vermögens gegen den Willen oder ohne das Wissen des Partners verwenden darf und die restlichen 15 Prozent am Ende redlich geteilt werden? Wie vereinbart es sich mit dem „Schutz von Ehe und Familie“, Bürger scharenweise ins vermeidbare (!) Unglück laufen zu lassen?

ELISABETH THIERBACH, Bielefeld

Geschichtshinweis

betr.: „Ein Happy End“, taz vom 1./2. 7. 17

Den vielen guten Artikeln fehlt es an Geschichtshinweisen. Das ist angesichts der angeblich christlichen Bedenken schade. Ehe war früher eine rein kirchliche, nicht biblische Sache. In der Bibel findet man bei Patriarchen und Israels Königen viele Frauen bis hin zu großen Harems. Erst im Neuen Testament wird von Bischöfen im 1. Timotheusbrief in Kapitel 3 verlangt, dass sie eine einzige Frau haben und ihrem Haus gut vorstehen. Ehe war dann bestimmt durch die Familienbetriebe und nur für die, die eine Familie ernähren konnten. Die meisten Menschen blieben unverheiratete mithelfende Familienmitglieder.

Als der Staat die standesamtliche Eheschließung einführte, haben die Kirchen protestiert. Die eigentliche Veränderung brachte dann die Industriegesellschaft, weil alle heiraten konnten und die Arbeit in Betrieben dazu führte, dass für die Ehen nur noch der private Bereich blieb: Liebe und Kinder; wenn es gut geht, auch Verständnis und gegenseitiges Helfen. Die Befürworter der angeblich christlich traditionellen Ehe, also der Kleinfamilie der Industriegesellschaft, argumentieren denn auch gern, es gehe darum, dass Kinder Vater und Mutter brauchen. Wer das wirklich will, sollte dafür eintreten, dass die katholischen Geistlichen, die Kinder zeugen, mit der Mutter des Kindes zusammenleben können, ehe sie der katholischen Kirche zustimmen, wenn sie gegen das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare angeht. ULRICH FINCKH, Bremen