Transsylvanien Wie die Bienen seines Großvaters Daniel Neculais Leben veränderten: „Ich bin der Letzte, der es macht“
Interview Friederike Gräff
taz: Herr Neculai, wie empfinden die Bienen einen Sturzregen, wie er gerade da draußen herniedergeht?
Daniel Neculai: Der Regen unterbricht die Sammelaktivität. Das ist so, als würde bei VW das Fließband stehenbleiben, ganz schlimm.
Stellen sich die Bienen dann unter?
Nicht wirklich. Sie gehen bei Regen nicht raus, sollten sie schon raus sein, haben sie den Drang, nach Hause zu kommen. Dabei kommen viele Bienen um. Wenn eine Biene von einem Regentropfen getroffen wird, fällt sie in einen schlafähnlichen Zustand.
Das heißt aber, sie überleben?
Wenn sie nicht in einer Pfütze ertrinken oder unterkühlen. Der Regen bedeutet eine Unterbrechung der Sammelaktivität. Jede Nahrung, die nicht eingefahren wird, muss aus dem Essenslager herausgenommen werden oder es muss gedarbt werden. Und wenn gedarbt wird, kann die Population nicht zunehmen. Das Überleben sichern die Sammlerinnen und diese Aktivität muss beigebracht werden. Und wenn dazu keine Gelegenheit besteht, geht die Population ein.
Das Ganze klingt wie eine Mischung aus protestantischer Erwerbsethik und Ford. Man hat das Gefühl: Hier ist genau getaktet.
Absolut. Es ist ein Computer, ein ganz sensibler hochempfindlicher Computer, der mit verschiedenen Systemen synchronisiert ist.
Mit anderen Tieren verbindet man auch Ruhezeiten, etwa bei Raubtieren, die lange schlafen. Ist das bei den Bienen die Winterstarre?
Es ist nicht wirklich ein Schlaf, es ist eher ein gemeinsames beruhigtes Warten auf die neue Saison.
Bienen haben ja nur eine kurze Lebenszeit. Überleben sie das Warten überhaupt?
Die Brut, die kurz vor dem Herbst geboren wird, bekommt eine zusätzliche Ernährung, die es ihnen ermöglicht, drei Monate statt der üblichen sechs Wochen zu leben. Dadurch kann das Wissen weitergegeben werden und die Arbeiten im Stock können vollbracht werden.
Das wirkt wie etwas sehr harmonisch Durchdachtes. Wird man als Beobachter einer solchen Ordnung ehrfürchtig oder ist das Journalistenlyrik?
Nein, das ist so. Wenn Menschen in der Imkerei solch eine Erfahrung machen und sich einbinden in eine Tätigkeit, das ist vielleicht nicht Religion, aber Philosophie. Wenn man mich fragt, welcher Konfession ich angehöre, sage ich: Imker.
Jetzt, wo auch der Großstadtyuppie das Imkern entdeckt, ist es dann immer noch Philosophie?
Ich begrüße es sehr, dass es Interesse gibt. Ich habe den Eindruck, dass viele von ihnen dem Bienensterben entgegenwirken wollen. Die Hauptursache ist dabei nicht der Virus allein, sondern die Zerstörung der Biodiversität. Die Imker haben eine Mitschuld. Es liegt in der Natur des Menschen, so erfolgreich wie möglich zu arbeiten. Und da haben sie gedacht: Unsere fleißige kleine Biene aus Europa kreuzen wir jetzt mit der großen etwas fauleren Biene aus Asien. Und erhalten dann eine große fleißige Biene.
Sie leben selbst von der Imkerei. Wie fern oder wie nah ist Ihnen solch ein Effizienzgedanke?
Ich bezahle seit zehn Jahren meinen Anwalt und meinen Arzt mit Honig. Letztes Jahr habe ich eine sehr aufwendige Konstruktion für mein Motorrad mit Honig bezahlt.
Es scheint, dass man sehr unterschiedlich imkern kann: als Turbokapitalist oder als jemand, der eine Naturerfahrung machen möchte.
Jetzt stellen Sie noch einen dazu: sich selbst. Sie begegnen sich selbst, indem Sie der Natur begegnen, das ist so alt wie die griechische Dramatik. Darum mache ich das. Weil ich hier einen Verbindungspunkt habe zu mir, zur Natur und zu meiner Gesellschaft. Wenn wir in dieser Synchronizität, ich benutze jetzt diesen technischen Ausdruck, koexistierten wie die Biene, die Pflanze und das Wetter, dann hätten wir andere Probleme als die, die wir jetzt haben. Ich würde mich lieber damit herumschlagen, ob ich dieses Jahr mehr Linden- oder mehr Akazienhonig haben werde als mit der modernen Agrikultur, die die Biodiversitätsflächen immer mehr zerstört.
Sie imkern in Transsylvanien – sind Sie im Guten wie im Schlechten da 100 Jahre zurück: unberührte Natur und schlechte Löhne für die Leute?
Das war mal eine Insel, das ist nicht mehr so. Das hat fünf bis zehn Jahre nach dem Ceaușescu-Regime funktioniert. Die europäische Union ist so gewaltig in dieses Land hineingegangen, dass sie den Leuten vorschreibt, was sie wie machen. Straßen werden gebaut, die Menschen sind gezwungen, sich in dieses wirtschaftliche System einzugliedern, was man früher zu Hause hergestellt hat, ist verboten. Die spanischen Tomaten sind so billig, dass sie die leckeren Tomaten des rumänischen Bauern allemal unterbieten.
Sie waren hier in Hamburg als Modefotograf tätig, bevor Sie Imker wurden. Sind Sie eines Tages aufgestanden und haben gesagt: zurück zur Natur?
Nein, es war viel mystischer.
Noch mystischer?
Mein Großvater hatte Bienen und wenn ich ihn besucht habe, hat er sie mir gezeigt. Das allererste Mal, als ich bei ihm war, da war ich etwa drei Jahre alt, hat mich eine Biene in den Kopf gestochen. Diesen Schmerz habe ich nie vergessen. Und das ist vor meinem 30. Lebensjahr noch einmal passiert und dann begann der Prozess des Erinnerns. So bin ich nach Rumänien zu meinem Großvater gefahren, der im Sterben lag. Der hatte den Wunsch, dass ich sein Bienenvolk übernehme.
Sind Sie der einzige Enkel?
Nein, aber ich bin der letzte, der es macht, außer meinem 80-jährigen Vater. Sonst kümmert sich niemand um die Bienen, es ist viel Arbeit und sie arbeiten da ohnehin so viel und so hart und dann haben sie am Ende keinen Ertrag. Es ist in der Bevölkerung nicht unbedingt populär. Die, die imkern, werden als Faulpelze belächelt.
Ist es nicht sonderbar: Die Wertschätzung kommt erst wieder in Gesellschaften, die sich viel weiter vom Leben mit der Natur entfernt haben. Wie man Sprachen schätzt, die nahezu ausgestorben sind.
46, gelernter Werbekaufmann, dann Assistent für Modefotografie, ist seit 2007 hauptberuflicher Imker. Er lebt in Hamburg und in Transsylvanien.
Das stimmt. Aber die Karten haben sich jetzt geändert. Durch die europäische finanzielle Förderung ist auch die Imkerei in den Fokus geraten und viele junge Menschen kaufen sich Bienen. Nur, dass sie wenig Ahnung davon haben und sie nur ausnutzen, um in monokulturellen Gebieten ihren Honig zu machen. Das können bis zu 100 Tonnen sein. Wie es den Bienen geht, ist ihnen egal. Sie behandeln sie mit Medikamenten und wenn sie tot sind, holen sie sich neue. Die Bienen sind für sie nur ein Werkzeug. Das schadet.
Da stehen Sie vermutlich schnell als weggegangener Besserwisser da.
Auf jeden Fall. Die Menschen vor Ort haben sich ganz andere Überlebensstrategien aneignen müssen und die sind knallhart. Die Menschen sind sehr freundlich, aber sie haben ein hartes Leben, da kann man sich nicht zurücklehnen und fantasieren, wie schön die Welt aussähe, wenn man dies und das bewahrte. Nein, ich verkaufe es, weil ich meine Kinder ernähren will. Der Nachbar hat es getan, der andere Nachbar auch, dann bist du der Doofe, wenn du es nicht tust.
Sie haben das Adlon in Berlin beliefert, das ist nicht unbedingt der Ort, von dem man denkt: kommunitär, einfach, aufs Wesentliche konzentriert.
Es sind beide Sachen: Egal wie stark Sie sind, brauchen Sie eine Reflektion, und ich hole sie mir dort, wo sie am härtesten ist, bei den Sterneköchen. Ich habe auf der Straße angefangen und Leute angesprochen, ob sie meinen Honig probieren wollen. Schon damals habe ich das Kilo auf hundert Euro gesetzt, sie konnten bei mir gerade mal zwei bis zehn Gramm kaufen.
Wie viel Zeit verbringen Sie pro Jahr bei den Bienen in Rumänien?
In den letzten Jahren im Durchschnitt ein, zwei Monate.
Was tun Sie in den übrigen Monaten?
Denken. Ich denke mir Modelle aus. In einem zum Beispiel bekommen Waisenkinder einen Platz in einer Imkerei. Die Erlöse aus der Imkerei sorgen für die Mittel, die Kinder von der Straße zu holen. Das Ziel ist es, Menschen den Weg zu bereiten, indem Mitgefühl und Güte und Empathie gefördert werden mit der Idee, das weiterzugeben. Übrigens: Bei den Bienen findet das statt.
Wo denn?
Bienen würden niemals alleine den letzten Tropfen Honig essen, sie geben ihn sich gegenseitig ab. Wenn die Bienen schwärmen und Sie wollen sie behalten, dann sollten Sie sich eine Brutwabe besorgen. Dann werden die Bienen nicht wegfliegen, denn sie verlassen die Brut nicht, obwohl es nicht ihre ist.
Wer kümmert sich um Ihre Bienen, während Sie in Deutschland sind, Ihr Vater?
Mein Cousin. Mein Vater ist 80, aber er ist ein kerniger, sehr starker Mann. Ich zeige Ihnen dort Leute, die sind 70 und tragen einen Baum aus dem Wald nach Hause. Diese Leute haben keine Krankenversicherung, keine Rente …
… und damit auch keine Wahl, als möglichst kernig zu sein …
und auch keine Sorgen. Ich frage sie immer, was würdet ihr euch wünschen, wenn ihr einen Wunsch frei hättet? Dass wir gesund bleiben, sagen sie dann.
Aber Sie wollten dort nicht alt werden?
Doch. Ich bin als Siebenjähriger aus Rumänien hierher gekommen, ich hatte damals keine Wahl und ich werde wieder zurückgehen. Ich habe dort einen Wald, einen Hügel, dann stelle ich mir einen Bauwagen dorthin, gucke in die Ferne und erfreue mich daran, dass ich hier sein konnte. Bis dahin habe ich hoffentlich möglichst viele Leute davon überzeugt, sich für die Rechte und die Lebensräume der Bienen einzusetzen und sie juristisch einzuklagen. Man muss sich das klarmachen: Die Biene soll über 30 Millionen Jahre hier auf der Erde sein. Wer das schafft, hat ein gutes Konzept. Dann sind Sie ein Meister des Lebens.
In dem Modellstaat der Biene wollte ich keine Arbeiterin sein.
Am schwersten hat es eigentlich die Königin. Denn dieses Wesen leistet so viel Arbeit wie es alle menschlichen Könige der Geschichte zusammen nicht getan haben. Sie legt in der Saison bis zu 200.000 Eier am Tag, stellen Sie sich vor, wie viel Material das ist, wie das in ihrem Körper produziert wird. Sehen Sie aber auch das Schöne daran: Sie sind ein Medium, durch sie fließt das Leben. Bei den Drohnen ist es ähnlich: Sie haben eine kurze Lebenszeit, aber eine wunderbare. Sie sind den ganzen Tag damit beschäftigt, ihre Flugkunst zu perfektionieren, denn sie müssen die Königin in der Luft zur Paarung einfangen. Danach werden sie aus dem Stock geworfen und verhungern. Die Bienenwelt ist sehr grausam.
Wie sehr muss man sich bei der Betrachtung der Bienen vor einem vermenschlichenden Blick hüten?
Je mehr sie daraufgucken, spaltet es sich in grausam und schön.
Das sind ja wieder menschliche Kategorien.
Was sollen Sie sonst sagen, ich habe ja nur diese, sonst verliere ich den Kontakt zur Welt. Mein Großvater hat mich oft gefragt: Warum machen die Bienen das, was sie machen? Und seine Antwort war: Die Bienen tanzen zu einer göttlichen Melodie. Sie befinden sich in einer Bewegung, der sie ausgeliefert sind und die Freiheit, die sie haben, ist es, das anzunehmen.
Vielleicht hatten die Bienen auch Glück, weil ihnen die Eiszeit nicht auf die Füße gefallen ist.
Der Mensch ist seit 250 Jahren mit Industrien unterwegs und steht vor dem Abgrund. Das ist kein gelingendes Wesen. Aber er hat Gesetze, unter anderem die juristische Person. Und das ist eine Lücke und eine Lösung, also nützen wir sie.
Was würde der Biene ein solcher Status ermöglichen?
Ich bin kein Jurist. Aber ich habe vielen Freunden von Ideen zum Schutz der Lebensräume der Biene erzählt und sie haben gesagt: „Das geht nicht, Daniel. Das würde nur funktionieren, wenn die Biene eine juristische Person wäre.“
Was würde die Erhebung der Biene zu einer juristischen Person praktisch verändern?
Es sollte Ihre Lebensräume schützen und sie selbst vor Stoffen, die ihre Gesundheit beeinträchtigen. Die Biene hat ab dann einen Wert und Rechte und nicht nur Pflichten.
Und wie bringen Sie die Idee voran?
Ich habe da meine eigene Technik. Ich komme immer persönlich und ich habe es auch nicht eilig, ich mache alles sehr langsam, ich bin die Schnecke in der Tierwelt. Ich gehe auf Märkte, verkaufe meinen Honig, ein paar Teesorten aus dem Garten. Kürzlich habe ich gehört, dass es den Maori gelungen ist, einen Fluss zu einer juristischen Person zu erklären und das war für mich das Zeichen: Es ist möglich. Bleib am Ball. Und durch die Berichterstattung über die schwierige Situation der Bienen derzeit ist mir bewusst, dass sich die Menschen dafür begeistern können. Jetzt suche ich Menschen, die sagen: Ich setze mich dafür ein.
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