Fürstlich bezahlter Kurzauftritt

Rekord Gleich acht Tennisprofis geben in Wimbledon verletzt in der ersten Runde auf. Denn nur wer antritt, hat ein Anrecht auf das üppige Preisgeld

Nach der Aufgabe im Einzel ist Feliciano López im Doppel dabei Foto: ap

LONDON taz | Es war ein seltenes Aufbegehren im Herzen von Wimbledon. Doch als am Dienstag auch noch der Ukrainer Alexander Dolgopolow im Match gegen Roger Federer zum Netz schritt und seine Aufgabe signalisierte, war es um die Contenance der Centre-Court-Zuschauer geschehen. Laute Buh-Rufe gellten über den berühmtesten Tennisplatz der Welt, Pfiffe ertönten, ganz gegen die gewohnte Etikette: Die Fans fühlten sich am „Tag der Schande“ (The Sun) um ihr Geld geprellt, schließlich war zuvor auch schon das Match des dreimaligen Champions Novak Ðjokovićnicht über die reguläre Distanz gegangen. Auch sein Gegner, der Slowake Martin Kližan, hatte offenbar angeschlagen das Handtuch geworfen. Fürs entgangene Tenniserlebnis bei den teils von weit her angereisten Fans gab es keinen Ersatz, für Dolgopolow und Kližan und weitere sechs mehr oder minder schwer verletzte Spieler aber den planmäßigen Lohn: 40.000 Euro für die Teilnahme an der ersten Runde.

Es kann tatsächlich so einfach sein, in Wimbledon oder anderswo bei den Grand Slams gutes Geld zu verdienen: Einmal qualifiziert für die Hauptfeldkonkurrenz, reicht theoretisch ein einziger Ballwechsel aus, um die Erstrundenprämie am Zahlschalter abholen zu dürfen. Es hat diese Farce-Matches in der Vergangenheit auch schon gegeben, Matches, die nach drei oder vier Spielen im ersten Satz abgebrochen wurden, weil einer der Spieler verletzt war. Das Geld gab’s dennoch, anders als bei einem Rückzug vor dem Match. Denn dann rückt ein anderer Spieler nach, mit dem Anspruch auf Bezahlung. Bei 40.000 Euro Verdienst etwa in Wimbledon als Hauptfeldstarter muss die Moral oder Kollegialität aber zurückstecken, schließlich ist das in etwa die Summe, die man auch als Halbfinalist bei Turnieren wie unlängst in Stuttgart bekommt.

Gleich acht Herrenprofis zogen in der Auftaktrunde dieser internationalen englischen Meisterschaften des Jahres 2017 zurück, es war die Einstellung eines traurigen Rekords. Und es warf ein Schlaglicht auf offensichtliche Missstände im Wanderzirkus: „Aufgabe-Orgie“ titelte empört der Daily Telegraph, von „Betrug am Zuschauer“ sprach gar die Webseite des amerikanischen TV-Senders ESPN. „Einige Spieler, die nicht ganz fit oder auch verletzt sind, kommen nur noch mit der Absicht zu einem Grand Slam, um das üppige Preisgeld in der ersten Runde zu kassieren“, sagte ein europäischer Turniermanager. Bei manchen Profis sei ihm von vornherein klar gewesen“, so befand Beobachter John McEnroe, „dass sie nicht in der Lage waren, ihr Match zu beenden. Das System gibt ihnen auch diesen Anreiz.“

Konfrontiert mit der vermeintlichen Abkassierermentalität mancher Kollegen versucht sich der Ausnahmespieler Federer zunächst in der Kunst der Diplomatie: „Viele hoffen ja auf ein Wunder. Dass die Verletzung besser wird, dass Regen kommt und das Match verlegt wird, dass der Gegner vielleicht auch nicht in Form ist“, so der Schweizer, „aber es wird doch Zeit für eine Reform.“ Er schlug vor, eine neue Regelung bei ATP-Turnieren künftig auch auf Grand- Slam-Niveau einzuführen: Danach erhält ein verletzter Spieler trotz Rückzugs sein Erstrunden-Preisgeld, und der Nachrücker hat die Chance, ab der zweiten Turnierrunde auch zu verdienen. „Das ist fair, vor allem gegenüber den Fans“, findet auch Ðjoković, „es ist wichtig, dass sie Spiele zu sehen bekommen, die normal enden.“

Die enttäuschten Tennisfans in ­Wimbledon fühlen sich um ihr Geld geprellt

Doch bedenklich ist auch eine andere Lücke in der Tennis-Gesetzgebung: Denn Spieler, die sich im Einzel verletzt aus dem Turnier abmelden, können anschließend problemlos wieder im Doppel an den Start gehen. Der Spanier Feliciano López und der Serbe Viktor Troicki machten es in Wimbledon mal wieder vor, López gab seine Partie gegen den Franzosen Adrian Mannarino auf und stellte sich dann doch wieder an die Seite seines Doppelpartners Marc López auf den heiligen Rasen. Das Duo verlor, aber Feliciano López, der 2017er Finalist vom Stuttgarter Weissenhof, nahm noch einmal einen 7.000-Euro-Scheck mit, zusätzlich zu den 40.000 Euro im Einzel. Troicki meldete ebenfalls für Doppel, was noch bizarrer erschien: Im Einzel war er ja nur einen Satz lang unterwegs gewesen, bei der 1:6-Aufgabeniederlage gegen Florian Mayer. „Das darf so einfach nicht erlaubt sein“, zürnte da der ehemalige Trainer von Englands Star Tim Henman, David Felgate. Jörg Allmeroth