„Eine große emotionale Anstrengung“

Loretta Walz hat Überlebende des Frauen-KZ Ravensbrück interviewt. Buch und Film stellt sie jetzt in Hamburg vor

Seit 25 Jahren befasst sich die Berliner Filmemacherin Loretta Walz mit dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück: 123.000 Frauen und Kinder waren dort zwischen 1939 und 1945 inhaftiert. Zehntausende von ihnen wurden umgebracht. Loretta Walz hat mit über 200 überlebenden Frauen Interviews geführt und sie auf Video festgehalten. Daraus sind ein Buch und ein Film entstanden.

taz: 25 Jahre sind eine lange Zeit. Was war der Anstoß für diese intensive Auseinandersetzung?

Loretta Walz: Im Rahmen eines Filmprojekts habe ich 1979 eine Überlebende von Ravensbrück kennen gelernt, Maria Zeh. Sie hat mich auf eines der jährlichen Treffen der Lagergemeinschaft Ravensbrück mitgenommen. Die Frauen dort haben mich fasziniert, weil sie ganz anders waren als die Frauen ihrer Generation, die ich sonst kannte: Sie waren politisch aktiv, unterhielten sich über ganz andere Themen und hatten eine starke Ausstrahlung. Die Idee zu den Interviews kam dann von den Frauen selbst.

Warum haben Sie sich fast nur für die Erinnerungen von Frauen interessiert?

Als ich 1980 anfing, gab es ganz wenige Veröffentlichungen von Frauen über ihre KZ-Erfahrungen. Im Vordergrund standen die Erlebnisse der Männer. Ich selbst habe NS-Geschichte überhaupt als Geschichte von Männern gelernt. Auch für mich war neu, dass es reine Frauenkonzentrationslager gegeben hat. Und das KZ Ravensbrück war damals gänzlich unerforscht. Das Spezifische eines Frauenlagers war kein Thema. Die weibliche Perspektive vom Überleben und Weiterleben fehlte.

Sie haben mit den Frauen nicht nur über die Lagerzeit gesprochen, sondern auch über die Zeit davor und danach. Warum war Ihnen das so wichtig?

Mich haben in erster Linie die Frauen interessiert, und die habe ich 35, 40 Jahre nach ihrer Haft getroffen. Wer und wie sie da waren, das hat nicht allein die Haft bewirkt. Die meisten Frauen waren nicht in Ravensbrück, weil sie Jüdinnen waren. Sie waren im Widerstand aktiv gewesen, hatten religiöse Überzeugungen. Ich habe mich gefragt: Wie sind sie dahin gekommen, wie bewusst sind sie das Risiko eingegangen, verhaftet zu werden? Im Verlauf der Gespräche wurde auch klar, dass es einen wichtigen Unterschied machte, ob man wusste, weshalb man verhaftet wurde oder ob man willkürlich aus dem Leben gerissen wurde. Das war für die eigene Haltung, für das Überleben im Lager wichtig.

Wie wirkte sich dieser Unterschied aus?

Diejenigen, die zuvor politisch organisiert waren, konnten auch im Lager leichter solidarische Strukturen aufbauen und einander helfen. Die Zeit im Lager lässt sich also nicht von der Vorgeschichte isolieren. Und beides ist bedeutsam für den Umgang mit den Erinnerungen.

Sie haben mit über 200 Frauen aus 15 Ländern gesprochen. Wie sind Ihnen die Frauen mit ihren ja sehr unterschiedlichen Biographien begegnet?

Die Frauen, die ich anfangs befragt habe, vor allem in Deutschland, hatten ja selbst das Anliegen, Erinnerungen festzuhalten, viele sprachen gewissermaßen aus einer politischen Motivation heraus. Als ich nach 1989 auch in den ehemaligen Ostblock reisen konnte, war das anders. Das Gefühl, dass es von deutscher Seite ein Interesse an ihren Erfahrungen gibt, war für viele Frauen fast so etwas wie ein Entschädigung. Besonders in Russland oder der Ukraine, wo die Frauen lange schweigen mussten. Aber auch in Westeuropa hat man ihnen oft nicht geglaubt, und sie haben daraufhin geschwiegen. Manche Frauen habe ich mehrmals besucht, bis sie der Aufzeichnung des Gesprächs zustimmten. Für viele war es eine große emotionale Anstrengung, aber auch erleichternd.

Interview: Carola Ebeling

Loretta Walz: „Und dann kommst du dahin an einem schönen Sommertag“, München 2005, 430 S., 24,90 EuroFilmvorführung „Die Frauen von Ravensbrück“: Do, 22.9., 19 Uhr, Neue Gesellschaft, Rothenbaumchaussee 19Lesung: Fr, 23.9., 19 Uhr, Denk(t)raüme, Grindelallee 43 (nur für Frauen)