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Berliner SzenenMerkel hinterm Mülleimer

Im Gleisdreieck-Park

„Hä?“, fragt jemand

„29 war meine Mutter, als ich geboren wurde“, sagt ein Mädel mit Skaterkäppi. – „Voll alt, Alter!“, sagt ein anderer. Die Jugendlichen sitzen neben mir auf einer Holztreppe am Gleisdreieck-Park. „Deine Mutter ist so alt wie mein Bruder“, sagt ein Junge, der mit seinem Handy die Gruppe fotografiert. „Dann könntest du mein Onkel sein“, sagt das Mädel, während sie sich die Haare mit den Fingern kämmt. „Hä?“, fragt jemand. Das Mädel versucht ihre Theorie zu erklären.

Ich wollte mein neues Buch anfangen. Doch nachdem ich den ersten Satz dreimal gelesen habe, ohne ihn zu verstehen, widme ich meine Aufmerksamkeit den Teenagern. Der Junge mit dem Handy nimmt das Mädchen mit der Kappe an der Hand. Sie entfernen sich von den anderen. Er versucht weiter Händchen zu halten, sie macht am Anfang mit und dann nicht mehr. Er flüstert ihr etwas ins Ohr, sie lacht. Dann spielt jemand ein Lied mit dem Handy, er tanzt.

„Frau Merkel ist hinter dem Mülleimer“, sagt ein Junge, der ein „Just do it“-T-Shirt trägt. Ein großer, kompakter Mann im dunkleren Anzug, mit Krawatte, Sonnenbrille und durchsichtigen Spiralkabel am Ohr kommt in unsere Richtung. Er sieht wie der Bodyguard eines Politikers oder wie ein Profikiller aus. Seine Glatze glänzt in der Sonne. Eine Szene aus einer B-Movie mit Handy-Popmusik. Die Jugendlichen gucken dem Bodyguard nach. Er geht zu den Mülleimern und scheint tatsächlich dahinter etwas zu suchen. Dann geht er weiter zu den toten Schienen des Technischen Museums und verschwindet.

„Hä? Was war das?“, fragt das Mädel mit der Kappe. „Ich sag’s dir, Frau Merkel ist da.“ Was sie dort soll? Das kann niemand beantworten.

Ich warte darauf, dass sie das Thema „alte Mutter“ noch mal ins Spiel bringen. Aber sie sind schon wieder ganz woanders.Luciana Ferrando

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