In der zweiten Reihe sieht man besser

Klaus Wowereit (SPD) rief als Erster, dass Kaiser Gerd doch eigentlich nackt sei und man ihn für eine große Koalition nicht brauche. Die Aufregung darüber hält an – doch sie nutzt dem Regierenden Bürgermeister. Wie schon immer in seiner Karriere

von PHILIPP GESSLER

In diesen aufgeregten und aufregenden Zeiten kommen die ins Schwärmen, die sich an kalter Machtpolitik berauschen können. „Es gibt in der SPD ganz viele, die nun sicher sind, dass er auch über Wasser laufen kann“, sagt der einstige niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel, „ich bekenne freimütig: Ich gehöre dazu.“ Die Rede ist von Kanzler Gerhard Schröder, dessen Machtwillen, Führungsanspruch und Pokerqualitäten niemand intern anzuzweifeln wagt – bis auf einen, der ihm in dieser Hinsicht fast das Wasser reichen kann: Klaus Wowereit.

Der Regierende Bürgermeister hat mit der ihm eigenen Chuzpe ein parteiinternes Tabu gebrochen, indem er öffentlich sagte, eine große Koalition sei „unter Umständen“ auch ohne Schröder denkbar – „aber diese Umstände sind noch nicht da“. Kein Wunder, dass diese Aussage sogleich den stellvertretenden SPD-Fraktionschef im Bundestag in gewohnt bayerisch-derber Art aufheulen ließ: „Wowereit hat schon im Wahlkampf gestört“, polterte Ludwig Stiegler, „er soll lieber den Mund halten.“ Stiegler weiß, warum er wütet, denn nur eine absolute Geschlossenheit der sozialdemokratischen Reihen erhält Schröders Gruppenhypnose aufrecht, eigentlich habe ihn das Wahlvolk zum Kanzler berufen. Wowereit aber stellt sich hin und ruft: Der Kaiser ist doch nackt! Die Aufregung darüber hält noch an. Zu Recht.

Denn niemand sollte daher kommen – wie etwa Senatssprecher Michael Donnermeyer – und betonen, das sei doch alles aus dem Zusammenhang gezerrt worden und überhaupt ganz anders gemeint. Nein, Wowereit ist ein eifriger Schüler Schröders und macht es wie der seinerzeit und heute: Er profiliert sich auf Kosten seiner eigenen Partei und ihrer Führungsfiguren. Und Wowereit weiß sehr wohl seine Sätze zu wägen. Unbedachtes ist ihm fast noch nie rausgerutscht.

Offensichtlich ist, dass Wowereit sich für eine Zeit nach Schröder zu positionieren versucht – er hat ähnliche Schwenks und Tabubrüche schon in der Landespolitik immer äußerst geschickt und mit lächelndem Gesicht eingefädelt: Die große Koalition ließ er eiskalt platzen, als dies zu Beginn der Bankenaffäre günstig erschien. Rot-Grün hakte er schnell als Episode ab, als ihm die Grünen nicht mehr hilfreich waren. Die Koalitionsverhandlungen zu Rot-Gelb-Grün nutzte er nur so lange, bis die Stadt die PDS an der Macht akzeptierte.

Seitdem fährt er einen harten, manchmal neoliberalen Sanierungskurs in der Stadt, den die Linkspartei trotz anders lautenden Wortgeklingels beinahe klaglos abnickt. Den starken öffentlichen Dienst der Hauptstadt erpresste er, Stellenstreichungen und Lohnkürzungen hinzunehmen. Die BVG musste unter seinem Druck Gehaltseinbußen von zehn Prozent akzeptieren. Schon im Wahlkampf profilierte er sich mit dem Gedankenspiel, dass auch ein rot-rot-grünes Bündnis im Bund möglich wäre – ab 2009, klar, aber dies war wieder so ein geplanter Tabubruch.

Der Tempelhofer denkt eben strategisch, das hat er schon immer getan. Für seine Äußerung zu Rot-Rot-Grün auf Bundesebene erhielt er einen Rüffel von Parteichef Franz Müntefering – aber den schluckte er auf dem vergangenen Landesparteitag mit einem Lächeln. Die Stiegler-Schimpferei nahm er noch gelassener. Denn Wowereit weiß: Sein Satz wird bleiben und ihm nutzen. Ein Mann, der instinktsicher den Tabubruch seines Outing als schwuler Spitzenpolitiker in einen Popularitätsschub ummünzt, ja damit eine Art Kultstatus („Und das ist gut so“) erreicht, verplappert sich nicht in den wichtigen Dingen. Dem Fuchs nutzt selbst seine Feierfreude. Zwar möchte die Opposition ihn gern als „Partymeister“ diffamieren, letztlich aber passt das Image zur Coolness der Stadt – und verdeckt Wowereits Härte.

Schröder mag übers Wasser laufen können, aber wenn Wowereit so weitermacht, fängt er bald an zu fliegen. Einiges spricht dafür, dass es tatsächlich im Bund eine große Koalition ohne Angela Merkel und Schröder gibt – was sonst? Wenn die dann nach kurzer Zeit zusammenbricht, stünde Wowereit als der da, der es immer geahnt hat – und in Sachen Rot-Rot Erfahrung hat. Es ist ein aufregendes Spiel in aufgeregten Zeiten.