LeserInnenbriefe
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Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.

Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

Zwang und Schweinebraten

OH Terre des Femmes fordert ein Kopftuchverbot für Minderjährige, Niklas Potrafke vom ifo Institut eine deutsche „Leitkultur“. Und schon gibt’s Streit

Es gibt sie in jeder Farbe. Blau ist auch sehr schön Foto: dpa

Ein paar Phrasen

betr.: „Kritik in scharfer Form“, taz vom 23. 6. 17

„Wir sind gegen jeden Zwang!“ Unangreifbar – und nützt gar nichts. Das relevante Thema ist: „Können Verbote in einer durch viele Zwänge geprägten Situation helfen, und falls ja, wann und wie?“ Das ist komplizierter als ein paar Phrasen.

Die Kopftuchfrage spaltet muslimische Gruppen, Feministinnen sowie Frauen muslimischer Herkunft mindestens genauso wie feministische Gruppen (überwiegend) deutscher Herkunft. Und doch bekommen die unmittelbar Betroffenen kaum die Möglichkeit, wirklich einzugreifen. Sie dürfen innerhalb einer von anderen vorstrukturierten Debatte ein paar Statements abliefern. Einfluss auf die Schwerpunkte und darauf, wo überhaupt die Bruchstellen liegen, bekommen sie kaum.

Zu Terre des Femmes gehören Frauen muslimischer Herkunft, wie nicht muslimische Frauen vertreten sie unterschiedliche Standpunkte. TdF hat die Möglichkeit einer Debatte geschaffen, eine deutliche Mehrheit der Mitfrauen hat eine Entscheidung getroffen.

Das Ergebnis gefällt einigen Mitfrauen nicht, von denen viele erst ganz neu dabei sind und keine Mitarbeit in irgendwelchen Arbeitsgruppen eingebracht haben. Und nun dieser offene Brief. Bitte – aber dann die gesamte Debatte, nicht die Verramschung des Kopftuchs als Spielwiese moralischer Verortung verschiedener Feministinnen meist deutscher Herkunft, häufig zur Vertuschung von Machtkämpfen oder ganz anderen Konflikten. Das ist wirklich rassistisch. Und überlässt das Thema dem rechten Rand.

INGE KLEINE, München

Wir sind parteiisch

betr.: „Kritik in scharfer Form“, taz vom 23. 6. 17

Es sollte hinterfragt werden, warum viele der Unterzeichnerinnen des offenen Briefs, die erst in den letzten Jahren eingetreten sind, überhaupt Mitfrauen geworden sind. TDF ist ein Frauen- und Mädchenrechtsverein, der sich gegen patriarchale Strukturen wendet und damit parteiisch ist. Und das schließt einige „Diversitäten“ und „Inklusionen“ aus. Die in ausführlichen internen Prozessen erarbeiteten Positionen von TDF zu Kopftuch und Prostitution und die Leitlinie, die sich ausdrücklich gegen den Kulturrelativismus ausspricht, existieren ja nicht erst seit letztem Jahr. Es wird doch auch niemand in einen Schwimmverein eintreten, um sich dann zu beschweren, dass der Verein nicht prioritär Weitsprungtraining anbietet.

Von den Unterzeichnerinnen werden demokratische Prozesse gefordert, obwohl ein Teil der Frauen nicht auf der Mitfrauenversammlung war und somit den intensiven Diskussions- und Abstimmungsprozess gar nicht mitbekommen hat. Und Frauen, die dabei waren und ihre Positionen entweder nicht eingebracht oder dafür keine Mehrheit gefunden haben, akzeptieren das demokratische Ergebnis nicht, fordern aber in einem offenen Brief „solidarisches“ Miteinander.

Wir gehören wahrscheinlich zu den Frauen, denen die Unterzeichnerinnen in kaum zu überbietender Selbstgerechtigkeit „Solidarität, Empathie und grundlegendes Verständnis politischer Bewegungen“ absprechen. Demokratische Prozesse und Solidarität gelten den Unterzeichnerinnen demnach nur als Maßstab, wenn die eigene Meinung sich durchgesetzt hat.

Beispiel gendersensible Sprache: Die Mehrheit hat sich auf der Mitfrauenversammlung aus verschiedenen Gründen für eine neutrale Form, und soweit diese nicht möglich ist für das „Binnen-I“ entschieden und damit für eine Formulierung, die möglichst keinen Menschen ausschließt. Oder Beispiele Sexkaufverbot oder Mädchenkopftuchverbot: Mit der von den Unterzeichnerinnen vertretenen Argumentationslogik müsste TDF auch die Forderungen nach einem Verbot von „freiwilligen“ Witwenverbrennungen, Kinderehen und Genitalverstümmelung zurücknehmen.

In den Positionspapieren von TDF sind die Beweggründe und Forderungen ausführlich dargestellt.

SOLVEIG SENFT, ANTJE LANGETHAL, Fahrenkrug

Reaktionäre Zeilen

betr.: „Klare Kante angesagt“, taz vom 23. 6. 17

Sage niemand, die taz-Redaktion habe (selbst) auf ihrer „Diskussions­seite“ keinen Sinn für Satire: „Minister de Maizière hat mit seinem Leitkulturvorstoß einen Volltreffer gelandet. Kann die Union in Sachen Wirtschaftspolitik nachlegen?“, sagt Niklas Potrafke. In jedem Leistungskurs Politik wäre der Münchner Volkswirtschaftsprofessor Potrafke für seine politischen Plattitüden (in die er seine Meinung verpackt) in die Ecke gestellt worden. Deshalb ist jede seiner reaktionären Zeilen es wert, auch in der taz im Mittelpunkt zu stehen und nicht (zum Beispiel von Ulrike Herrmann) korrigiert zu werden. Alle taz-LeserInnen (und potentiellen Grünen-WählerInnen) sollten dem Leiter des ifo-Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie für seine Mühe, sie aufzuklären, dankbar sein.

WALTER GRODE, Hannover

Verfassungsgegner

betr.: „Klare Kante angesagt“, taz vom 23. 6. 17

Auf die Gefahr hin, Herrn Potrafkes Enthusiasmus zu dämpfen: Die „Leitkultur“ ist sehr wohl ein Angriff auf das Grundgesetz, das nämlich den Bewohnern der BRD die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit garantiert, und sei diese auch noch so ungewöhnlich oder unsympathisch. Wer die Verfassung durch eine „Leitkultur“ ergänzen und sie somit verbiegen will, der will genau diese Freiheit untergraben und ist damit ein Gegner der aktuell gültigen Verfassung. Sicherlich gibt es eine Mehrheitskultur, oder vielleicht auch nur ein Kontinuum von Kulturen, die für eine Mehrheit anschlussfähig sind, aber dieser Kultur muss sich niemand anschließen. Herr de Maizière kann privat gerne seine Mehrheitskultur mit Goethe und Schweinebraten leben, solange er andere Menschen damit in Frieden lässt.

FLORIAN SUITTENPOINTNER, Köln

Ausgrenzung

betr.: „Klare Kante angesagt“, taz vom 23. 6. 17

Ist das wirklich ein Kommentar in der taz? Der Leitkulturvorstoß ein „Volltreffer“? Ich hatte bislang immer gedacht, dass gerade in linken Kreisen sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Leitkultur­debatten in erster Linie Ausgrenzung von Minderheiten zum Ziel haben. Der CDU dafür dankbar sein, dass sie schlimmstenfalls AfD-Positionen übernimmt? „Wir sind nicht Burka.“ „Wir geben uns zur Be­grü­ßung die Hand.“ Geht’s noch?

HAKAN YOZGATLI, Hamburg

Richtung stimmt

betr.: „Jetzt geht die Gleichstellung los“, taz vom 29. 6. 17

Gleichstellung für alle, endlich ohne Wenn und Aber! Jeder und jede des Selbstdenkens und des Lesens Mächtige kann mitnichten umhinkommen, den sachlichen Aussagen von Eddie Stapel zuzustimmen. Artikel 3 unseres Grundgesetzes muss nicht geändert werden, ändern müssen wir aber unsere oftmals unreifen Deutungen, Einstellungen und Ansichten, die den (ge)rechtlichen Vorgaben mal hintanstehen. Doch die Richtung stimmt – nicht zuletzt dank Angela Merkels agilem Opportunismus. MATTHIAS BARTSCH, Lichtenau-Herbram