Die Handlungsreisenden

AktivistInnenSie kommen aus der ganzen Welt zu den Aktionen nach Hamburg und demonstrieren gegen Europas Sparpolitik, die Wall Street und Trumps Mauer. Die taz stellt drei von ihnen vor

„Das Problem ist global“

Marta Sanchez Soler Kämpft für die Rechte von MigrantInnen

Will in Hamburg die transatlantische Kooperation verbessern: Marta Sánchez Soler Foto: youtube

aus Mexiko-Stadt Wolf-Dieter Vogel

Geboren als Tochter eines Spanienkämpfers im französischen Exil, aufgewachsen in Mexiko, verheiratet mit einem mexikanischen Aktivisten der 68er-Bewegung, der als politisch Verfolgter in die USA flüchtete – Marta Sánchez Soler hat nicht nur die nötigen multinationalen Wurzeln, sie weiß auch genau, was es heißt, ihre Heimat verlassen zu müssen.

„In der ersten Etappe meines Lebens“, berichtet die resolute 76-Jährige, „arbeitete ich in Bildungsprojekten in marginalisierten Gemeinden.“ Schon in den 1990er Jahren beschäftigte sie sich in San Diego mit mexikanischen MigrantInnen, die oft unter schwierigen Bedingungen in der Grenzstadt leben mussten.

Nach einem Aufenthalt in Zentralamerika begann Sánchez im Jahr 2006, sich dem Schicksal der Menschen zu widmen, die sich aus El Salvador, Honduras, Guatemala und Nicaragua auf den Weg in die USA machen. „Die Gewalt spitzte sich in diesen Staaten immer mehr zu“, erinnert sie sich. Mit ihrem Mann gründete sie das Movimiento Migrante Mesoamericano, die Mittelamerikanische Migrantische Bewegung.

Sánchez verhandelt mit Beamten, beschuldigt Politiker und Polizisten der Mitverantwortung und findet deutliche Worte gegenüber Journalisten. Von ihrer Wohnung im Viertel Del Valle in Mexiko-Stadt aus koordiniert sie unermüdlich die wichtigste Aktion der MMM: eine Karawane von Müttern, deren Söhne oder Töchter auf den Weg in den Norden verschleppt wurden. Seit 2006 suchen sie einmal im Jahr gemeinsam nach Angehörigen, die von mexikanischen Beamten verhaftet oder von kriminellen Banden entführt wurden. Rund 50 Frauen ziehen auf den Migrationsrouten entlang. Sie besuchen Gefängnisse, Krankenhäuser, Bordelle. Sie alle eint dasselbe Ziel: die Wahrheit. „Denn die ständige Beklemmung, es nicht zu wissen, ist schlimmer als die Gewissheit, dass sie gestorben sind“, sagt Sánchez. Den Verbleib von 260 Verschwundenen konnte die MMM aufklären.

Die Rechte der MigrantInnen durchsetzen, das gehe nur international: „Das Problem ist global, und nur global können wir es lösen.“ Deshalb haben sich die Frauen mit italienischen AktivistInnen sowie Müttern aus Marokko, Tunesien und Algerien zusammengetan, deren Angehörige auf dem Weg nach Europa verschwanden. Diese Kooperation will Sánchez auf dem Gegengipfel in Hamburg stärken.

Was sie vom G-20-Gipfel erwartet? „Nichts.“ Nein, schlimmer: noch mehr Restriktionen für Flüchtlinge und Migranten. Es sei paradox: „Die, die darüber reden, wie Migration und Flucht in den Griff zu bekommen sei, sind dieselben, die sie durch Kriege und Gewalt hervorrufen.“

„Der wichtigste Termin“

Giuseppe Caccia Veteran und Allzeitaktivist der linken Bewegung

„Zeigen, dass wir längst Alternativen leben“: Giuseppe Caccia Foto: privat

aus Frankfurt Martin Kaul

Da steht Giuseppe Caccia nun also und hat sich verkleidet: Er trägt einen hellbraunen Mantel und einen Hut, als wolle er gleich noch zur Jagd. Er passt so gar nicht in dieses Bild am 18. März 2015, hier zwischen den Bankentürmen der Frankfurter Finanzmetropole, wo Polizeikolonnen mit Sirenenalarm an ihm vorbeiziehen und ein Tross in Regenbogenfarben verkleideter italienischer Aktivisten trommelnd, fordernd vorangeht, mit dem Gestus der Unaufhaltsamen.

Giuseppe Caccia, der sich zu Protesten gern gut kleidet, ist, so försterhaft er gerade auch wirken mag, einer von ihnen: Wie ein stiller Dirigent, ein Begleiter, der im Hintergrund steht, aber erst dafür sorgte, dass sie alle nun hier sind. Ein Vernetzer.

Sie, das sind an diesem Tag im März 2015 dutzende italienische Aktivisten – gekommen, um in Deutschland gegen die europäische Finanzpolitik zu demonstrieren, gegen die Sparpolitik und die Auflagen, die Ländern wie Griechenland von deutscher Seite gemacht wurden.

Das ist jetzt über zwei Jahre her. Kommende Woche, wenn in Hamburg neben Angela Merkel und Recep Tayyip Erdoğan, neben Donald Trump und Wladimir Putin auch der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni erwartet wird, wird Giuseppe Caccia – heute 48, Kurzname: Beppe – wieder aus Italien zum Protest nach Deutschland reisen. Seine Vita steht prototypisch für jene europäischen Linksradikalen, die schon seit den G-8-Protesten 2001 in Genua strategisch an einer transnationalen linken Perspektive sozialer Bewegungen arbeiten.

Von 2001 bis 2005 war Caccia als stellvertretender Bürgermeister einer grün-linken Stadtregierung in Venedig für Soziales zuständig und zuvor einer der wichtigen Aktivisten von Genua. Die Zeit war, global gesprochen, der Beginn einer bewegungspolitischen Dekade, in der die globalisierungskritische Bewegung von einer anderen möglichen Welt träumte. In Genua verwandelten sich diese Träume inmitten von Reizgas, Molotowcocktails und widerrechtlichen Polizeieinsätzen in Straßenkämpfe.

Seither gab es zwar viele Gipfelproteste, aber seit Langem nicht mehr solche, wie Aktivisten sie für die kommende Woche vor sich sehen.

Caccia, der Veteran, Philosoph und Politologe, der linke Bewegungsintellektuelle und Allzeit­aktivist, der nun auch in der internationalen Gruppe der No-G-20-Aktivisten an der Vorbereitung für die Hamburgproteste beteiligt ist, sagt: „In diesen turbulenten Zeiten ist der G-20-Gipfel von Hamburg der wahrscheinlich wichtigste Termin des Jahres, um unseren Protest und unsere Unzufriedenheit zu zeigen – aber auch um zu zeigen, dass wir längst Alternativen leben.“

„Unglaublich viel zu tun“

Nelini Stamp Aufrührerin und Stimme des anderen Amerikas

„Afroamerikanerin und Kind von Immigranten“: Nelini Stamp Foto: IMER

aus New York DOROTHEA HAHN

Als Teenager wollte Nelini Stamp ein Broadwaystar werden. Stattdessen wurde sie eine Weltverbessererin, die gegen die Übel der Supermacht kämpft: von der Macht der Wall Street über die Polizeigewalt auf den Straßen bis hin zu den Massenabschiebungen. Sich selbst stellt sie als rabble rouser vor – als Aufrührerin. Ihre beiden weiteren Identitäten nennt sie „Afroamerikanerin und Kind von Immigranten“.

In Hamburg wird sie bei den Protesten gegen das G-20-Treffen stellvertretend für das andere Amerika sprechen. Ihr Thema ist der Widerstand gegen Trump. Die 29-Jährige ist ein Kind dreier Kulturen und zweier Sprachen: Ihre Mutter stammt aus Puerto Rico, ihr Vater aus Belize.

2008, als sie nach Billiglohnjobs studieren wollte, stieß sie an ihre Grenze als „schwarze Frau in Amerika“: Die Studiengebühren waren zu hoch. Es war das Jahr der Finanzkrise und der ersten Präsidentschaftskandidatur von Barack Obama. Stamp konzentrierte sich auf Hoffnung und auf Veränderung. Sie tauchte in die Welt der linken New Yorker AktivistInnen ein, die ihr Ersatz für ein Studium wurde. Sie lernte den Auftritt mit der erhobenen Faust. Schon bald diskutierte sie mit Intellektuellen.

Die kleine Working Families Party, die links von der Demokratischen Partei steht, gab ihr einen Job. Stamp wurde Beauftragte für die Jugend, dann für die Mitglieder insgesamt. Sie agitierte in Arizona erfolgreich gegen die Wiederwahl des berüchtigten Sheriffs Joe Arpaio, der Gefangene in Ketten arbeiten ließ.

Zugleich gewann Trump. Der Widerstand ­gegen ihn hält Stamp seither auf Trab. Anfang des Jahres kreierte sie den Hashtag #­ResistTrumpTuesday, der dienstags Menschen gegen Nummer 45 auf die Straße bringt. Wenig später stand sie mit einem Megafon bei einer Demonstration vor dem Sitz der Investmentbank Goldman Sachs, aus dem Trump zahlreiche Mitglieder für sein Kabinetts rekrutiert hat. Dort richteten sich ihre Slogans gegen die Abschaffung von Wall-Street-Regeln. „Wir haben unglaublich viel zu tun“, sagt Stamp. Für sie gibt es keine Hierarchie im Widerstand. Alles ist wichtig: die Abschaffung von „Obamacare“, die mehr als 22 Millionen Menschen krankenversicherungslos machen könnte, das Einreiseverbot für Muslime und der Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen.

In Hamburg überlässt Stamp es den Staats- und RegierungschefInnen, insbesondere Angela Merkel, dem US-Präsidenten ins Gewissen zu reden. Sie will sich auf zwei große Themen konzentrieren: Solidarität gegen den Neoliberalismus und Widerstand gegen die weiße Vorherrschaft.