Präsident Temer der Korruption angeklagt

Brasilien Das Parlament muss die Anklage billigen – aber viele Abgeordnete stecken mit im Sumpf

Staatschef Michel Temer bleibt unbeirrt Foto: Ueslei Marcelino/reuters

AUS RIO Andreas Behn

Erstmals ist ein amtierender Präsident in Brasilien angeklagt. Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot wirft Michel Temer Bestechlichkeit vor. „Zweifelsfrei ist der Präsident in Korruptionsverbrechen verstrickt“, erklärte Janot am Montag und eröffnete die nächste Runde im brasilianischen Politdrama. Temers umstrittener Reformpolitik droht Stillstand. In einer neuen Meinungsumfrage unterstützen nur noch sieben Prozent der Bevölkerung den konservativen Präsidenten.

Die formale Anklage, die Janot am Montag beim Obersten Gerichtshof einreichte, beschränkt sich bislang auf den Vorwurf der Bestechlichkeit. Ermittelt wird jedoch auch wegen Behinderung der Justiz und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Kurz zuvor bestätigte die Bundespolizei in einem Untersuchungsbericht den dringenden Tatverdacht gegen Temer. Er soll umgerechnet mindestens 10 Millionen Euro Schmiergeld für die Regierungspartei PMDB kassiert haben, im Tausch gegen politische Gefälligkeiten für Unternehmer. Und es geht um die Zahlung von Schweigegeld an den inhaftierten Exparlamentspräsidenten Eduardo Cunha, damit dieser auf Aussagen vor der Justiz verzichtet.

Temer weist alle Vorwürfe kategorisch von sich. Noch zu Wochenbeginn sagte er vollmundig, „nichts wird uns zerstören“, und schloss einen Rücktritt aus. Er wirft Staatsanwaltschaft und Justiz vor, mit unlauteren Mitteln seinen Sturz zu betreiben. Allerdings wurde inzwischen offiziell bestätigt, dass ein kompromittierender Audiomitschnitt nicht, wie von Temer behauptet, gefälscht worden sei. Joesley Batista, Chef des weltweit größten Fleischkonzerns JBS, hatte ein geheimes Treffen mit Temer im März mitgeschnitten und die Aufnahme der Justiz übergeben. Der Kronzeuge wirft Temer – und über tausend (!) anderen Politikern – Bestechlichkeit und Verwicklung in den Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras vor. Ein ebenfalls angeklagter Vertrauter Temers wurde später sogar bei der Übergabe eines Geldkoffers von der Polizei gefilmt.

Trotz dieser Beweise kann Temer aber davon ausgehen, dass er vorerst nicht vor Gericht gestellt wird. Denn bevor das oberste Gericht das Verfahren eröffnen kann, muss das Parlament dies mit Zweidrittelmehrheit absegnen. Dort verfügt ­Temer nicht nur über eine breite Mehrheit, sondern über sehr viele Leidensgenossen: Weit über die Hälfte der gut 500 Abgeordneten stehen ebenfalls unter Korruptionsverdacht. Der Präsident, der mit Umbesetzungen in Politik und Behörden die Korruptionsermittlungen zu bremsen versucht, ist ihr wichtigster Verbündeter.

Über die Hälfte der gut 500 Abgeord­neten stehen unter Korruptionsverdacht

Dennoch nimmt der Druck auf Temer zu, und vor allem auf seinen wichtigsten Koalitionspartner, die liberalkonservative PSDB von Expräsident Fernando Henrique Cardoso, die noch mehrere Minister stellt. Viele in der Partei fürchten, mit ­Temer unterzugehen. Dann wäre auch das mit Temer eingeleitete große Sparpaket vom Tisch, einschließlich der umstrittenen Reformen von Arbeitsrecht und Rentensystem.

Sollte das Parlament aber gegen Temer stimmen, käme er auf die Anklagebank und müsste sein Amt für 180 Tage ruhen lassen. Für diesen Fall plädiert die Opposition für sofortige Neuwahlen. Bisher gelingt es weder Gewerkschaften noch linken Parteien, politisch Druck zu machen. Ein zweiter, für Ende Juni geplanter Generalstreik gegen die Sparpolitik steht auf der Kippe. Die Rechte hingegen setzt darauf, Temer durch einen unbescholtenen Politiker zu ersetzen und so doch noch ihre unpopulären Reformen zu retten.