Kampf um die Doppelspitze

Nächste Woche wollen die Grünen ihre neuen Fraktionsvorsitzenden wählen. Nach Fischers Rückzug bewerben sich jetzt fünf Obergrüne um die Posten

VON ULRIKE WINKELMANN

„Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“ Eine sonst so schnoddrige Noch-Verbraucherministerin Renate Künast zitierte ausgerechnet Hermann Hesse, um ihre Haltung zu Joschka Fischers Rückzug aus der grünen Weltpolitik zu beschreiben.

Nun kennt das Gedicht „Stufen“ auch die Zeile „Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen“. Womit möglicherweise Renate Künasts Motiv beschrieben wäre, unmittelbar nach Joschka Fischers allseits rührendem Auftritt in der dienstäglichen Fraktionssitzung ganz unlyrische Fakten zu schaffen – und ihre Kandidatur für den Fraktionsvorsitz zu erklären.

So sahen sich dann auch weitere vier Obergrüne gezwungen, sich schon einmal um die zwei gemischtgeschlechtlich zu besetzenden Posten zu bewerben: Künasts Ko-Minister Jürgen Trittin wie der Wahlkampfmanager Fritz Kuhn, die gegenwärtige Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und, nach einigem Zögern, auch ihre Kollegin Krista Sager.

Damit war wiederum klar, dass die Grünenspitze nicht daran glaubt, dass sie in einer Regierungskoalition landet. Sonst brauchte man den Machtkampf um Oppositionsposten nicht zu eröffnen. Offiziell hieß es gestern zwar, die Union habe schließlich auch ihre Kanzlerkandidatin Angela Merkel zur Fraktionschefin gewählt. Doch sind rein symbolische Rückenstärkungsaktionen bei den Grünen eben derzeit völlig überflüssig.

Kommenden Dienstagnachmittag soll also eine neue Fraktionsspitze gewählt werden – es sei denn, die Dringlichkeit von Ampel- oder Schwampel-Gesprächen zwecks Regierungsbildung verbietet dies schlichtweg.

Als wahrscheinlichstes Führungsduo werden Renate Künast und Fritz Kuhn gehandelt. Künast ist eine beliebte Ministerin mit starkem, sprich über den reinen „Öko“-Bereich hinausragendem Themenprofil. Sie läuft unter dem berlinerisch-linken Label. Auf Kuhns, des Fischerfreunds Comeback als Spitzenpolitiker warten die Grünen ohnehin schon lange.

Künast und Kuhn galten schon einmal, Mitte 2000, als Traumpaar auf dem Parteivorsitz. Ihre Ära fand bloß deshalb ein Ende, weil Künast Anfang 2001 Ministerin wurde. Kuhn musste sich Ende 2002 zwischen Amt und Mandat entscheiden und wählte Letzteres. Doch genau der Umstand des früheren Erfolgs könnten den beiden auch schaden: Die Fraktion könnte nämlich unterstellen, das Duo sei zu sehr „Vergangenheit“, und sich schon aus Trotz gegen die vielen Vorschusslorbeeren für jemand anderen entscheiden.

Künast in Kombination mit Trittin jedoch ist allein schon deshalb kaum vorstellbar, weil beide jetzt Ministerposten haben. Eine Verdopplung der Ministerwichtigkeit durch die Übernahme der Fraktionsführung wäre schlicht ungehörig.

Geht Künast also eigentlich nur mit Kuhn, wäre Kuhn ansonsten noch im Doppel mit Krista Sager vorstellbar. Sager, die aus Hamburg mit dem „Reala“-Image gekommen ist, hat sich als Fraktionschefin von diesem Ruf eher emanzipiert. Göring-Eckardt dagegen hat sich häufig genug sowohl wertkonservativ als auch eher wirtschaftsliberal geäußert, um sie unter „Schwarz-Grün-geneigt“ verbuchen zu können. Da dies wiederum auch vom Baden-Württemberger Kuhn gesagt wird, wäre eine Göring-Eckardt-Kuhn-Lösung zumindest eine starke politische Festlegung.

Trittin gilt dagegen nach wie vor als Linker, wäre so gesehen mit einer Göring-Eckardt wie mit einer Sager im Gespann vorstellbar. Wobei Sager über ihre gemeinsame Zeit mit Trittin als Parteichefin beziehungsweise früher noch: Bundesvorstandsprecherin von 1994 bis 1996 wenig gute Worte gefunden hat. Damals gab es allerdings auch noch richtige Flügelkämpfe zwischen den beiden. Gerüchte, wonach Trittin vor der Wahl behauptet haben soll, er wolle nicht die ganze Legislaturperiode durchhalten, wurden gestern nicht bestätigt.

Grundsätzlich wäre natürlich auch eine Weiterführung der rein weiblichen Doppelspitze denkbar: Künast plus Sager oder Göring-Eckardt. Dann könnte Künast voll ihre Beliebtheit, Sager voll ihre Sachkompetenz beziehungsweise Göring-Eckardt voll ihren Jugend- und Ostbonus ausspielen. Dafür gelten jedoch die beiden Männer gegenwärtig als zu starke Kandidaten. Außerdem müssen jetzt nicht mehr zwei männliche Minister aufgewogen werden.

Abgesehen von einem unwahrscheinlichen schwarz-grünen Signal mit Göring-Eckardt und Kuhn als Fraktionschefs ist es derzeit schwer zu sagen, wie eine Neubesetzung die Grünen prägen wird. Führungsgrüne behaupten seit Jahren, Fischer habe auf inhaltliche Entscheidungen sowieso kaum noch Einfluss. Auch wird das grüne Profil vermutlich weniger vom kommenden Spitzenpersonal als von der kommenden Rollenumverteilung im Bundestag abhängen. Auf den Oppositionsbänken werden die Grünen zwischen FDP und Linkspartei eingeklemmt.