Weit weg vom System

FREEGANISMUS „Ich will kein Geld in Umlauf bringen.“ Ein Freeganer erklärt sein Nein zur Konsumgesellschaft

VON JANINA HENKES
UND KIM WINKLER

Barfuß steht er im Innenhof und führt in die Wohnung. „Hannah ist so nett und lässt mich gerade bei ihr leben.“ Adrian brüht in der Küche Tee auf und nimmt ihn mit in den Garten, wo er erzählt, warum er seit zehn Jahren ohne festen Wohnsitz ist.

Adrian lehnt es ab, Teil der Konsumgesellschaft zu sein. Er versucht freegan zu leben. Dies bedeutet für ihn, „so wenig wie möglich zu kaufen und so viele Dinge wie möglich clever zu besorgen“. Das Wort freegan setzt sich aus den Begriffen free (frei) und vegan zusammen. Frei, weil Freeganer sich meist von weggeworfenen Lebensmitteln ernähren. Vegan, weil sie die Nutztierhaltung ablehnen. Viele Freeganer konsumieren trotzdem tierische Produkte, wenn sie ihre Lebensmittel containern.

„Es ist komisch, dass ich vom Überschuss der Gesellschaft lebe“, sagt Adrian. „Ich bin im Grunde der Nutznießer dieser schrecklichen Dinge, die ich kritisiere.“ Seine Kritik richtet sich nicht nur gegen die Lebensmittelindustrie. Ihm geht es vor allem um Massenproduktion und Rohstoffverschwendung. „Luxusgegenstände wie Handys und Computer werden so hergestellt, dass sie nach zwei Jahren wieder kaputtgehen.“ Das ärgert ihn.

Finger weg vom Geld

Adrian war schon als Jugendlicher politisch aktiv. Als er mit 18 zu Hause auszog, wollte er Strategien entwickeln, ohne Geld zu wirtschaften: „Ich will mit Geld nichts zu tun haben und so wenig wie möglich davon in den Umlauf bringen.“

Bislang ist er meist ohne Job durchgekommen; in keinem war er länger als zwei Wochen beschäftigt. Von seinen Eltern erhält er ungebeten hundert Euro monatlich. Außerdem bezahlen sie ihm die Krankenversicherung. Geld habe keinen messbaren Wert, sagt Adrian. Den Banken wirft er eine „Geldumverteilung von Arm nach Reich“ vor.

Im Garten der Freundin, die ihn für eine gewisse Zeit aufnimmt, fühlt er sich willkommen. Er hilft ihr dafür im Haushalt und besorgt Essen. Auf seine Weise. Eigentlich würde er gerne einen eigenen Platz zum Wohnen finden, den er sich beispielsweise mit einer Hausmeistertätigkeit erarbeitet.

Nachdenklich sitzt Adrian im Schneidersitz da. Mit nackten Füßen bei 5 Grad Celsius, im Nieselregen. Er ist höflich, redet bedacht, wirkt fast etwas scheu. Von der Gesellschaft mit ihren „abstrusen“ Regeln und all ihrer Bürokratie hält er sich fern. „Ich sehe nicht ein, wieso ich immer ein Plastikkärtchen mit mir herumtragen muss, auf dem mein Name steht.“ Auch dass man prinzipiell angezogen sein muss, stellt er grinsend infrage.

Reisen? Trampen geht! Flugtickets kann er sich nicht leisten, auch nicht bewerkstelligen ohne Kreditkarte. Sonst fällt ihm nichts ein, was ihm fehlen würde. Politisch aktiv ist er nicht mehr, diesbezüglich ist er desillusioniert: „Es gibt Radikale, die Autos anzünden, um irgendwas zu bewegen. Die Versicherung zahlt, und dann wird etwas Neues gekauft. Damit tut man bloß der Autoindustrie einen Gefallen.“

Adrian hat aufgegeben, die Welt im Großen zu verändern. „Ich versuche, mein kleines Ding zu bauen, in dem ich glücklich lebe und jeder mitmachen kann. Einfach Frohsinn in die Welt tragen. Es ist wie eine kleine Blase, in der man irgendwie klarkommt.“