Es geht auch sexy

PROTEST Sich nackt ausziehen, lauter Techno und Konfetti sind mittlerweile Standard auf vielen Demos. Ist das noch Politik?

VON LAURA NAUE
UND DARYNA STERINA

Eine Gruppe Menschen besichtigt gemeinsam eine Wohnung in Berlin-Kreuzberg, der Andrang ist groß. Sekundenschnell ziehen sich die vermeintlichen Interessenten aus. Lediglich mit Tiermasken bekleidet, tanzen sie zu Musik, die sie mitgebracht haben.

Die Aktivisten der „Hedonistischen Internationale“ treten in dieser Art immer wieder auf, demonstrieren gegen Nazis, Atomkraft oder wie in diesem Fall gegen hohe Mieten. In ihrem Manifest heißt es: „Wo die Hierarchie beginnt, hört der Spaß auf. Wo der Spaß aufhört, beginnt die Hierarchie.“

Auf fast allen Demos läuft inzwischen laute Musik, Protest hat oft Partycharakter angenommen. Das Nein zeigt sich in attraktiver Form: sexy, jung und modern. Doch geht es diesen Menschen überhaupt noch um eine politische Aussage? Oder ist das Motto „Party, Party, Party“?

„Eine Demo kann durchaus einladend und cool sein, denn es spielt auch eine Rolle, wie sie bei den Menschen ankommt“, sagt Monty Cantsin*. Seit Jahren nimmt er an Aktionen der „Hedonistischen Internationale“ teil. Er glaubt, dass es viele Menschen gibt, die für ihre Überzeugungen demonstrieren wollen, jedoch nicht in der hergebrachten Form. Ein verlockendes Äußeres und Spaß können zum Mitmachen anregen. Er findet Neinsagen sexy.

Viel Aufmerksamkeit erregten in den letzten Jahren die Techno-Demos. Die Teilnehmer dieser Proteste bringen eigene Soundanlagen mit, ihre Aktionen erinnern eher an eine Party als an eine Demonstration. So war es auch bei den Castortransporten in den vergangenen zwei Jahren, wo auch die „Hedonistische Internationale“ dabei war. Mit Beatboxen und lauter Elektromusik stellte sich die feiernde Gruppe dem Castortransport in den Weg. „Tanzen, bassen, blocken“ lautete ihr Motto.

Musik ist das beste Mittel des Protests, findet Dr. Motte. „Sie erreicht einfach viele Menschen und spricht an“, sagt der Gründer der Loveparade Berlin. Aber es gehe nicht nur ums Partymachen oder um Sexyness, sondern die Musik sei eine Form der Demonstration.

Monty Cantsin meint, dass die Partyproteste eine besonders kreative Form von Protest sind. Gerade im Vergleich zu konventionellen Demonstrationen sieht er einen Vorteil: Die Hemmschwelle, sich spontan anzuschließen, ist niedriger. Es müsse nicht immer verbittert demonstriert werden. Auch Sprechchöre findet er überholt. „Wenn die Leute Party feiern wollen und dabei gleichzeitig gegen Nazis demonstrieren, ist das doch eine gute Sache.“

Natürliche gebe es auch Mitläufer, die nur zum Feiern dabei sind. Dass diese sich aber gar nicht mit dem Anlass der Demonstration auseinandersetzen, glaubt er nicht. Schließlich gebe es überall Flyer, Banner und Plakate. Und manchmal würden dann auch die Partygäste politisch aktiv und würden eigene Aktionen veranstalten.

Besonders viel Spaß hatte Monty Cantsin bei einer Aktion gegen Rechtsextremismus. Gemeinsam mit anderen Gleichgesinnten stürmte er eine Berliner Nazikneipe – nackt. Die Gruppe feierte, tanzte – und war dabei auch noch politisch aktiv.

*Künstlername