Berliner Szenen: „Arschloch“ klingt gut
Velothon
Unten ist die Straße wegen des Velothons gesperrt. Was daran ein „Jedermannradrennen“ sein soll, erschließt sich mir nicht: Alle tragen Helme, professionelle Radkleidung, sitzen auf Rennrädern und haben einen Affenzahn drauf. Nix hier mit klapprigem Hollandrad, ein Korb auf dem Gepäckträger, auf der Stange singt ein cooles Hippiemädchen und um den Lenker schlingt sich eine Plastiksonnenblume. Das wäre für mich ein Jedermannrennen.
Einzelne verstrahlte Clubpatienten, die die Nacht zerkaut und wieder ausgespuckt hat, feuern lallend, grölend und wiederholt ein wenig in die Fahrbahn stolpernd die Radfahrer an. Sie wissen nicht, was sie tun. Da läuft bloß ein Programm im letzten, noch auf Notstrom laufenden Winkel ihres Hirns ab, das in einem fort Reizwortsignale wie „Fernsehen“, „Tour de France“, „Karneval“ und „WM“ durch den Nebel hindurch an den Rest des Wracks sendet.
Was fühlt sich für einen Sportler eigentlich besser an: von diesen Alkohol- und Drogenleichen mit ironisch wirkender Begeisterung angefeuert zu werden, oder lieber gar nicht? Ich glaube, ich würde entnervt anhalten, vom Rad steigen und ihnen die Fresse polieren.
Der zuständige Streckenposten ist heillos überfordert. So schlurft einer direkt vor seinen Augen provozierend langsam über die Straße. Im selben Moment biegt ein Riesenpulk um die Ecke. Der Störer selbst ist fast schon auf der anderen Straßenseite und von hier oben hinter dem Zipfel einer Baumkrone verborgen. Was ich noch sehe, ist eine kollektive Richtungsänderung des ganzen Schwarms, ein Stocken, ein Ausweichen, wie in so einem Fischfilm nachts auf Phoenix. Doch, anders als Fische, hört man sie schreien: „Hau ab!“, „Mann“, „Weg da“, aber am schönsten klingt das synchrone „Arschloch“ aus wenigstens einem Dutzend Kehlen. Uli Hannemann
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