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Nicht, dass wir uns jetzt missverstehen …

Moral Mediatoren sind keine Richter und erst recht keine Moralapostel. Deshalb gibt es kein „du hast alles richtig gemacht“.Das Konfliktmanagementverfahrenist amoralisch und ebendeshalbso erfolgreich. Eine Analyse

Wenn es trotz guter Absichten zum Konflikt kommt, ist das kein Grund, den Kopf hängen zu lassen Foto: Saba Laudanna

Von Christine Prußky

Nina Simone, The Animals oder auch Joe Cocker. Es ist völlig egal, wer dieses Lied singt. Der Song geht unter die Haut. Und das nicht nur wegen des schmelzenden Blues. Es sind auch die Worte, die beim Hören von „Dont let me be misunderstood“ erschauern lassen: „I’m just a soul, who’s intentions are good“, heißt es im Refrain, „Oh Lord, please don’t let me be misunderstood“. Frei ins Deutsche übertragen, wirkt das Flehen genauso herzzerreißend: „Oh Gott, lass mich bitte verstanden sein, ich bin doch bloß eine Menschenseele mit besten Absichten!“

Wem fällt jetzt keine Begebenheit ein, in der eine gut gemeinte Tat am Ende in einen Konflikt mündete? Der Streit als Quittung für etwas, das einem moralisch richtig schien und als freundlicher Akt gedacht war. Das zu erleben, ist bitter – und zutiefst menschlich. Der Blues, den Konfliktpartner in solchen Fällen mit in die Mediation tragen, ist unüberhörbar. Sie, die Medianten also, haben dann oft das dringende Bedürfnis nach Bestätigung, moralisch „richtig“ gehandelt zu haben – anders als „die andere Seite“.

Genau diese Bestätigung werden Mediatoren ihren Medianten verwehren. Denn sie sind keine Richter und erst recht keine Moralapostel, die über Gut und Böse wachen. Im Gegenteil: Die Mediation ist als Konfliktmanagementverfahren amoralisch und ebendeshalb so erfolgreich. Medianten handeln selbstverantwortlich aus, wie sie miteinander umgehen möchten und wie genau nicht. Was ist erlaubt, was verboten, was gut, was schlecht?

Diesen Umgangsrahmen zu entwickeln und am Ende auch anzunehmen, ist Sache der Medianten. Mediatoren begleiten sie „nur“ dabei. „Nur“, weil diese Begleitung einige Fertigkeiten erfordert. Eine davon ist, das sicht- und hörbar zu machen, was gemeinhin im Verborgenen bleibt. Dazu gehören nicht zuletzt auch moralische Werturteile.

Hoppla! Die Mediation ist einerseits moralfrei, soll andererseits aber moralische Beweg- und Hintergründe offenlegen? Dass der Widerspruch nur ein scheinbarer ist, wird deutlich, wenn man den Satz umdreht. Gerade weil im Rahmen einer Mediation moralische Beweg- und Hintergründe auf den Tisch kommen, ist es möglich, die Mediation als Veranstaltung insgesamt moralfrei zu halten. Für diese Transparenz und Achtsamkeit haben Mediatoren zu sorgen, die sich so gesehen gut und gern als „Moral-Detektoren“ verstehen lassen.

Was das heißt und wie das funktioniert, hat der US-Amerikanische Mediator Jonathan Hyman in seinem 2014 erschienen Fachaufsatz („Beyond Fairness: The Place of Moral Foundations Theory in Mediation an Negotion“) beschrieben. In dem Artikel geht es um einen Konflikt zwischen einem Küchenbauer, Frank, und seiner Kundin Bernice. Frank lässt Bernice mit halbfertiger Küche sitzen und meldet sich nicht mehr. Dabei war die Leistung schon komplett bezahlt. Die Rollen von Frank und Bernice wurden zu Studienzwecken von Schauspielern übernommen, sodass der gleiche Konflikt von unterschiedlichen Mediatoren begleitet werden könnte.

Heraus kam Erstaunliches: In der Mediation des Mediators Craig Lord kamen beide am Ende überein, dass Frank Bernice Geld zurückgibt und Bernice die Arbeit von einer anderen Firma erledigen lässt. Craig hatte sich in der Mediation auf finanzielle Ansprüche und Rechte der Medianten konzentriert. Anders als die Mediatorin Cheryl Cutrona. In ihrer Mediation einigten sich beide darauf, dass Frank die Arbeit zu einem günstigeren Preis beendet, als ursprünglich ausgemacht war. Bernice erhielt so eine Entschädigung für die Verspätung, Franks konnte seinen Ruf schützen, und die Beziehung der beiden konnte fortbestehen.

Gelungen ist Cheryl Cutrona das, weil sie in der Mediation auf die Offenlegung der Motive abhob. Sie wollte wissen, warum Frank die Arbeiten stoppte. Und sie wollte erfahren, wie es Frank und Bernice in den jeweiligen Situationen ging. Bei Cutrona erfährt Frank, dass Bernice von seinem Schweigen enttäuscht war und dass sie sich von ihm betrogen fühlt. Und Bernice erfährt, warum Frank so handelte – seine Sekretärin Conny ist konfliktscheu und nicht ganz so leistungsstark. Doch arbeitet Conny schon sehr lange in der Firma und gehört so praktisch zur „Familie“. Deshalb wollte Frank Conny nicht kritisieren. Er handelte gegenüber Bernice, so wie er handelte, weil er die Loyalität gegenüber seiner „Familie“ höher bewertete als die gegenüber einem Kunden wie Bernice. Genau das konnte Bernice verstehen: Frank wollte sie also nicht einfach hängenlassen und betrügen; er wollte jemanden schützen.

Du hast alles richtig gemacht, du bist ein guter Mensch: Das wird ein Mediator nicht sagen

Das Fallbeispiel verdeutlicht: Moralische Beweg- und Hintergründe gehören zum Menschen, sie sind ihm inhärent. Sie können Konflikte begründen, und sie können zugleich ein Schlüssel zu deren Lösung sein. Dann nämlich, wenn die jeweilige „Moralgrammatik“ offenbar wird. Um sie besser verstehen zu können, hilft ein weiterer Ausflug in die Wissenschaft. Er führt wieder in die USA und dort zu Jonathan Haidt. Der Hochschullehrer entwickelte im Jahr 2012 eine Theorie zur Begründung von Moral und konzentrierte sich dabei auf Menschen in demokratisch orientierten, reichen Staaten. Der „westlich sozialisierte“ Mensch besitzt nach Haidt Moralvorstellungen, die auf den immer gleichen Dualismen basieren: Fairness und Betrug; Fürsorge und Verletzung; Loyalität und Verrat; Macht und Unterwerfung; Verehrung und Herabwürdigung; Freiheit und Unterdrückung.

Über das Raster, dessen Treffsicherheit und Legitimation, lässt sich freilich trefflich streiten – doch kommen einem die gewählten Begriffspaare eben recht bekannt vor. Sie scheinen plausibel zu sein, mit Blick auch und gerade auf die Dilemmata des eigenen Lebens. Frank, der Küchenbauer, lässt sich so jedenfalls noch besser verstehen. Und man möchte ihm zurufen: Frank, du hast alles richtig gemacht, du bist ein guter Mensch, ich verstehe dich total!

Doch stopp! Genau diese Bestätigung dürfen Mediatoren ihren Medianten keinesfalls geben. Das steht ihnen nicht zu, und widerspräche den Grundsätzen der Mediation. Als Verfahren ist sie moralfrei. Die Garanten dafür sind die Mediatoren. Das ist gerade für Medianten schwer zu verstehen, die sich wie Frank nach einer moralischen Bestätigung ihres Handelns sehnen. Sie möchten hören, dass sie „richtig“ agiert haben. Ihnen dies zu verwehren, ist auch für erfahrene Mediatoren nicht ganz leicht. Aber, und das ist Trost und Rettung zugleich: Mediatoren dürfen ihr Verständnis dafür zum Ausdruck bringen, dass Medianten versucht haben, das Richtige zu tun.

Nicht, dass wir uns jetzt missverstehen: Es macht den Unterschied ums Ganze aus, Verständnis für die gute Absicht hinter dem Handeln auszudrücken. Oder aber das Handeln selbst als gut oder schlecht zu bewerten. Letzteres ist für Mediatoren ein absolutes No-go. Sie verteilen keine Gewissensnoten und sind auch keine Moralapostel. Doch – und das ist ihre vornehme Pflicht – sind Mediatoren Detektoren und Zeugen der Moral, die uns Menschen prägt und leitet.

Christine Prußky ist Mediatorin, Dozentin und Journalistin