Resonanz auf dumpfe Sprüche

Die NPD konnte bei den Bundestagswahlen ihren Stimmenanteil fast verdreifachen und selbst in West-Bezirken punkten. Das Potenzial der Partei sei damit noch nicht ausgeschöpft, sagt ein Experte

VON FELIX LEE

Sara* kennt sie alle. Die 17-Jährige weiß, wo der Neonazi wohnt, der ihrem Bekannten im Februar 2004 mit der Faust ins Gesicht schlug, weil der eine Punkfrisur hatte. Und sie kann sich auch denken, wer die anderen 25 sind, die im Wahlbezirk 405 in Treptow-Köpenick am Sonntag der NPD ihre Stimme gegeben haben: „Die kommen doch alle aus demselben Dunstkreis.“

Sara wohnt im Ortsteil Oberschöneweide zwischen Spree, Ostend- und Edisonstraße – jenem Wahlbezirk, in dem die NPD berlinweit ihr höchstes Ergebnis erzielen konnte. 26 NPD-Wähler – das klingt nicht viel. Und dennoch machen sie 11,4 Prozent aus, die in diesem Ortsteil den Rechtsextremisten ihre Stimme gegeben haben.

„Man darf diese Zahl nicht überdramatisieren“, sagt Frank Gutermut von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR). „Aber verharmlosen sollte man sie auch nicht.“ Die MBR ist seit mehreren Jahren in der Gegend um den S-Bahnhof Schöneweide aktiv und versucht über Straßenfeste, Veranstaltungen und runde Tische, die Öffentlichkeit über Rechtsextremismus aufzuklären. Einerseits findet Gutermut es beruhigend, dass die 26 NPD-Wähler so ziemlich genau dem Personenkreis entsprechen, die zum aktiven Kern der ihnen bekannten Neonazi-Szene gehören. Andererseits bleibt ein großer SympathisantInnenkreis bestehen, der bloß aus strategischen Gründen das Kreuz nicht bei den Rechtsextremisten gemacht hat. „Der Akzeptanzkreis ist wesentlich größer, als die Zahlen hergeben.“

Wie unterschiedlich die Daten bewertet werden können, zeigt ein Blick auf das Gesamtabschneiden der NPD in Berlin. Zwar liegt sie mit 1,6 Prozent der Zweitstimmen exakt im bundesweiten Durchschnitt und ist weit von den zweistelligen Werten entfernt, die die Partei vor einem Jahr bei der Landtagswahl in Sachsen erringen konnte. Aber auch hier gibt es eine zweite Lesart: Fast verdreifacht hat die NPD ihren Stimmenanteil im Vergleich zur Bundestagswahl von 2002, interpretiert Landeswahlleiter Andreas Schmidt von Puskás das Ergebnis. Vor drei Jahren seien die Rechtsextremisten mit 11.260 Stimmen auf 0,6 Prozent gekommen. Dieses Mal hingegen wählten 28.981 Wähler die NPD. In immerhin neun Wahllokalen habe die NPD bei über acht Prozent gelegen. Zu ihren Hochburgen zählten Marzahn-Hellersdorf mit 3,2, Treptow-Köpenick mit 2,4 und Lichtenberg mit 2,7 Prozent.

Ulrike Rockmann, Direktorin des Statistischen Landesamts, spricht von einer „dramatischen Steigerung“. Sie sieht die Ursache des hohen Abschneidens der NPD darin, dass die ehemalige rechtspopulistische Schill-Partei nicht angetreten ist. So legte die NPD selbst in Neukölln, Spandau-Charlottenburg-Nord und Reinickendorf um jeweils 0,8 Prozentpunkte zu. Bisher galt der Westteil als NPD-resistent.

Was Oberschöneweide betrifft, sieht sich die Mobile Beratung trotz des hohen NPD-Anteils auf dem richtigen Weg. „Das Wahlergebnis zeigt, dass wir mit unseren Studien nicht schlecht liegen“, sagt MBR-Mitarbeiterin Katharina Schmalstieg. Aktions- und Wohnort der Aktivisten seien in unmittelbarer Nähe.

Die Mitarbeiter des MBR messen den Erfolg ihrer Arbeit aber auch weniger an der Zahl der NPD-Stimmen. Vielmehr geht es ihnen darum, die „zivilgesellschaftlichen Gegenkräfte“ zu stärken. Und da gebe es in der Gegend um den S-Bahnhof Schöneweide durchaus Fortschritte, sagt Schmalstieg, bloß kann man sie nicht in Stimmen messen.

* Name geändert