Wortwechsel
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Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

Strittige Begriffe

Wortwahl Was ist links, was linkspopulistisch? Irreführende Etikettierungen, klare Begriffswahl und die Gleichsetzung von links und rechts

Ist Jeremy Corbyn ein Linkspopulist? Foto: dpa

Falsches Etikett

betr.: „Gut für Großbritannien“, taz vom 10./11. 6. 17

Dominic Johnson macht in seinem Kommentar aus seiner Abneigung zu der Person und der Politik von Jeremy Corbyn keinen Hehl. Das ist natürlich sein gutes Recht. Allerdings, ob die Leser in der taz Begriffe aus der rhetorischen Trickkiste der Daily Mail, der schlimmsten Boulevardzeitung auf der Insel, lesen wollen, ist eine andere Frage. Dominic Johnson nennt das Wahlprogramm der Labour-Partei „linkspopulistisch“. Als Leiter der taz-Auslandsredaktion muss er sicherlich wissen, wie ein Begriff wie „linkspopulistisch“ von taz-Lesern bewertet wird – „populistisch“ gehört letztendlich zu Le Pen oder Trump. Wann nennen wir ein politisches Programm „links“ und wann „linkspopulistisch“? Es stimmt, dass das Programm durchaus radikaler ist als jedes Labour-Parteiprogramm seit der Einführung des Neoliberalismus. Aber macht das das Programm „linkspopulistisch“? Begriffliche Klarheit sollte ein Standbein der taz sein, nicht irreführende Etiketten. PAUL LUTENER, Freiwald

Nicht alles geht

betr.: Homo-Ehe in Kolumbien, taz vom 15. 6. 17

Einerseits sollen die Rechte von Homosexuellen und anderen Minderheiten gestärkt und erweitert werden, besonders in Schwellenländern wie Kolumbien. Freiheit und Toleranz müssen als weltweite Prinzipien anerkannt werden. Andererseits darf Toleranz und politische Korrektheit nicht grenzenlos sein. Und es muss erlaubt sein, Kritik an gewissen Lebensmodellen zu üben. Ohne dabei in die rechte Ecke gestellt zu werden.

JULIA ENGELS, Elsdorf

Begehrliche Blicke

betr.: „German Angst“, taz vom 10./11. 6. 17

Als Jäger ist mir bei Streifgängen im Revier aufgefallen, dass mein Gewehr bei anderen Menschen Begehrlichkeiten weckt. Die Waffe wird angestarrt, Fragen nach Kaliber und „Effizienz“ werden gestellt, und so manch Fragender ist mir unheimlich mit seiner Neugier. Da Waffen legal nur unter sehr schwierigen Auflagen zu erwerben sind und nicht jede(r) die Connection zu einer illegalen Waffe hat, schaffen Schusswaffen, bei dem Sicherheitsbedürfnis mancher Menschen, Begehrlichkeiten. Schusswaffen sind gemacht, um zu töten. Sie sind hochgefährlich und haben viel Unheil in die Welt gebracht. Sie fordern Verantwortung über Leben und Tod und Prävention von „Unfällen aller Art.“ Ich wohne Gott sei dank in einer Gegend, wo man auch mal vergessen kann, nachts den Zündschlüssel abzuziehen. Bei unseren Asylanten wüsste ich nicht, wer mir Böses wollte. Aber meine Waffen machen mir Angst. Etwa, dass mir sie jemand stiehlt und Unheil damit anrichtet oder dass ich mich damit wehren müsste, mit vielleicht tödlichen Folgen. Mir geben meine Waffen nicht das Gefühl der Sicherheit. Aber sie sind mein Handwerkszeug. Wenn ich meinen gesetzlichen Auftrag erfüllen soll, geht es nicht ohne. Ich würde gerne mit diesem Leserbrief anonym bleiben. Wegen der Begehrlichkeiten.

ANONYM, Name und Adresse sind der Redaktion bekannt

Wortwahl irritiert

betr.: „Gut für Großbritannien“, taz vom 10./11. 6. 17

Ich bin äußerst irritiert über die niedermachenden Kommentare des Leiters der taz-Auslandsredaktion, Herrn Dominic Johnson. Diese Kommentare wären bei FAZ und ähnlichen Blättern gut aufgehoben gewesen, in der taz registriert man es mit Verwunderung. Da werden die üblichen Etikettierungen des neoliberalen Mainstreams („links außen“) ebenso übernommen wie die Kennzeichnung des Wahlmanifests als quasi linkspopulistisch, und noch im Bericht vom 6. 6. 17 fehlt nicht die Behauptung, Corbyn und May seien gleichermaßen unbeliebt. Im Guardian konnte man gegenläufig nachlesen, dass sich die Unbeliebtheit von Corbyn dramatisch vermindert hat.

CORNELIA HEINTZE, Leipzig

Paris ist nicht Gaza

betr.: „Wehrhafte Juden sieht man nicht gern“, taz vom 12. 6. 17

Wenn in der Dokumentation „Antisemitismus in Europa“ der Vergleich der Einwohnerzahl von Paris mit dem Landstrich Gazastreifen zielführend sein soll, um etwas über die Lebensverhältnisse dort zu erfahren, wie Martens schreibt, stellt sich einerseits die Frage, was das Ziel ist, andererseits muss man feststellen, dass dies nicht gelungen ist. Die Bevölkerung von Paris kann kommen und gehen, wie sie möchte, im Gegensatz zur Bevölkerung des Gazastreifens. Am Himmel von Paris surren nicht ständig bewaffnete und unbewaffnete Drohnen, im Gegensatz zum Himmel über dem Gazastreifen. Und Paris lebt nicht seit mehr als zehn Jahren unter Belagerung wie der Gazastreifen. Bewohner des Gazastreifens, die ihr Land in der Grenzregion zu Israel bewirtschaften wollen, laufen Gefahr, einfach erschossen zu werden, weil Israel einen 300 Meter breiten Streifen innerhalb zur „Sicherheitszone“ erklärt hat. Auch diese Realität findet keinen Vergleich mit den Lebensverhältnissen der Einwohner von Paris. Wenn der Film tatsächlich auch sonst von solcher „Qualität“ sein sollte, ist es verständlich, wenn er doch nicht ins Programm von Arte aufgenommen wurde.

MANUELA KUNKEL, Stuttgart

Linkspopulistisch?

betr.: „Gut für Großbritannien“ und „Die Gelähmten“, taz vom 10./11. 6. 17

Zur Wahl in Großbritannien: Laut Johnson ist Corbyn „linkspopulistisch“, „aggressiv überheblich, plump demagogisch“ und stellt seine Haltung unwahr dar. Ist die neoliberale Politik der Tories nicht populistisch? Was sind die wahren politischen Fähigkeiten und Überzeugungen von Theresa May? Sind sie eine Mischung aus sanfter Unterwürfigkeit und intelligenter Sachlichkeit? Die von Corbyn angesprochenen Probleme, das Gesundheitssystem, die Daseinsvorsorge, das Allgemeinwohl, die Kriegspolitik, das Ein- und Auskommen der Massen, werden von Dominic Johnson nicht angegangen. Wo sind die Lösungsansätze der Tories zu diesen Themen?

Stefan Reinecke zum Parteitag der Linken: Frau Wagenknecht ist „in der Flüchtlingspolitik rechts von Frau Merkel“, sie ist „auf Egotrips“, „linkspopulistisch“, hält „Abstand zu unserer Demokratie“. Linke Westdeutsche seien verbalradikal und politikunfähig. Welche Politik wird denn momentan von Frau Merkel betrieben? Ist sie für alle Schichten, für die Arbeitenden und Hartz-Bezieher? Hält sie Abstand zu den Reichen und Konzernen? Verteilt sie nicht stattdessen das Volksvermögen an die Konzerne? Ist die SPD überhaupt bereit, mit der Linken und den Grünen eine Regierung zu bilden, und hat sie nie die Regierungsfähigkeit der Linken infrage gestellt? Hat sie nicht mit der FDP nach den Landtagswahlen geflirtet? Will sie nicht die Bundeswehr in den Krieg schicken, nach Afghanistan, Mali, Syrien? Will sie ihre Hartz-Gesetze ersatzlos streichen, keine Leiharbeit und Werkverträge mehr zulassen, die Rente wieder auf das alte Niveau heben, keine Autobahnen privatisieren? Mit diesen zwei Kommentaren ist die taz voll bei den Leitmedien angekommen, das war mal anders gedacht.

BERNHARDT FAASS, Straubenhardt-Feldrennach