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„Köln hat uns verstört“

David und Kerstin Schütz haben sich vor einem Jahr zwei Schreckschusspistolen gekauft. An Silvester haben sie damit geschossen

David und Kerstin Schütz haben sich vor einem Jahr zwei Schreckschusspistolen gekauft. Sie leben in Postbauer-Heng in der Oberpfalz, einer Neubausiedlung zwischen Regensburg und Nürnberg. Sie kellnert im Sportverein und berät Kunden eines Campingartikelherstellers, er ist Techniker im Außendienst, reist durch Afrika und den Mittleren Osten und prüft dort Strahlenmesser für Radioaktivität.

Sie wohnen in einem weiß getünchten Reihenhaus mit zwei Langhaarkatzen und gestutztem Rasen. Auf dem Esstisch stapeln sich Bücher über Waffenrecht und Vogelarten, David Schütz lernt gerade für seine Jungjägerprüfung.

Im Keller steht ihr Waffenschrank, in dem die zwei Schreckschusspistolen lagern. Wenn David Schütz seine Jagdprüfung schafft, werden hier auch seine Gewehre stehen.

1. Angst haben

Sie: Alles hat damit angefangen, dass wir im Herbst 2015 erfahren haben, dass gegenüber von unserem Haus ein Asylbewerberheim eröffnet werden soll. Damals haben wir noch in Schwarzenbruck gewohnt, ein paar Kilometer näher an Nürnberg. Achtzig Jugendliche sollten in dieses Heim ziehen. Junge Kerle, die den ganzen Tag nichts zu tun haben. Erhebliches Krisenpotenzial, dachten wir uns. Davor hatten wir schon zwei, drei unangenehme Erlebnisse mit Roma gehabt, die bei uns in der Garage in unserem Zeug gekramt haben. Außerdem gibt es in dem Ort ein betreutes Wohnen für schwer erziehbare Jugendliche. Mit Somaliern und Äthiopiern, die Radau gemacht haben. Und dann war die Silvesternacht von Köln. Seitdem gehe ich nicht mehr allein in dunkle Ecken. Das, was in Köln passiert ist, hat uns verstört. Solche Dinge können passieren, und alle schauen weg?

Er: Manchmal denke ich mich in so Situa­tio­nen hinein. Zum Beispiel: Die Unterführung zum Kino. Was ist, wenn da einer steht und will dich abpassen? Ich spiele die Sache dann gedanklich durch. Damit ich am Tag X gefasst bin. Einmal hatte ich Kundenbesuch aus Nigeria. Dieser Mensch war den zum ersten Mal in seinem Leben in Deutschland. Er musste Geld wechseln am Hauptbahnhof in Nürnberg. Es gab keinerlei Polizeipräsenz, und er, der ja aus einem Land kommt, das mit der Boko Haram kämpft, hat sich unsicher gefühlt. Das hat mir zu denken gegeben. In solchen Momenten fühle ich mich vom Staat im Stich gelassen. Und ich verstehe nicht, dass man die ganzen Steuerüberschüsse nicht in den Ausbau der Polizei investiert. Früher hatte jedes Dorf einen Polizisten, heute wird das zentralisiert. In dem Ort, in dem wir früher gewohnt haben, sollte die Polizeidienststelle geschlossen werden, das sollte aus Nürnberg mit gemacht werden. Wenn was passiert, dauert es eine halbe Stunde, bis die Polizei bei dir ist.

Sie: Es gab dauernd Einbrüche. Unser altes Haus lag nahe der Autobahnauffahrt, das hat sicher eine Rolle gespielt. Ständig haben wir ungarische, rumänische, bulgarische Kennzeichen gesehen. Als wir ausgezogen sind, haben wir alles ausgeräumt und auf die Straße gestellt. Als wir drinnen eine Pause gemacht haben, gehe ich zum Fenster und schaue raus. Und dann standen da schon Rumänen am Transporter und wollten unser Zeug mitnehmen. „Was wird denn das?“, habe ich gefragt. „Willst du weghaben?“, fragt der mich. „Nein!“, sage ich. „Meins, lass die Finger davon.“ Da habe ich mir auch gedacht: Holla, die Waldfee. Das waren kurz aufeinanderfolgende Ereignisse, wo ich mir irgendwann gesagt habe: Wenn mein Mann nicht da ist und ich allein zu Hause bin, dann brauche ich eine Möglichkeit, mich zu verteidigen. Egal wie.

2. Sich wehren

Sie:Ich habe dann einen Selbstverteidigungskurs gemacht. Das war super. Der Mann hat sich Schutzkleidung angezogen, und du konntest richtig auf den eindreschen. Seitdem hatte ich immer einen Kubotan bei mir, wenn ich mit der S-Bahn gefahren bin, so einen kleinen Schlagverstärker. Irgendwann hat mir David dann eine Internetseite mit Gaspistolen gezeigt. Ob ich mir so etwas vorstellen könnte? Und ich war da offen. Also sind wir nach einer Familienfeier in Nürnberg in ein Waffengeschäft gegangen und haben uns erkundigt. Und haben auch gleich Pistolen gekauft. Dann haben wir den kleinen Waffenschein beantragt, damit wir die Waffen auch mit uns führen dürfen. Und noch auf dem Weg zum Auto haben wir beschlossen, einen Kurs zu machen, um zu lernen, wie man mit den Waffen umgeht.

Er: Es war schwierig, einen Kurs zu finden. Irgendwann haben wir einen bei Stuttgart entdeckt. Und da war es mir das auch wert, dafür 300 Kilometer zu fahren. Ich fände es gut, wenn jeder, der eine Schreckschusswaffe kauft, verpflichtet wird, einen Kurs zu machen. Nicht jeder Volljährige ist geistig auf der Höhe, um verantwortungsvoll mit einer Schreckschusswaffe umzugehen. Aber jeder darf sie kaufen.

Sie: Klar habe ich die Waffe seit dem Kurs nicht mehr benutzt. Aber hätte ich sie dabei und würde was passieren, dann glaube ich, dass die Griffe sitzen. Ich denke, das ist wie Fahrradfahren.

Vorsorge „Meine Schwester wollte mit ihren Kindern nicht mehr zu uns kommen. Wir wurden oft gefragt, ob wir nicht übertreiben. Aber wir wollen nicht danach sagen: Ja, hättste mal“Kerstin Schütz hat ihre Schreckschusswaffe jetzt im Waffenschrank

Er: Ich bin ein Mensch der Strukturen. Es ist mir wichtig, den kleinen Waffenschein zu haben. Es ist eine Legitimation wie ein Führerschein, auch wenn man da keine besonderen Kenntnisse vorweisen muss. Wir haben die Pistolen vor dem Kurs nicht abgefeuert. Wir hatten großen Respekt. Nach dem Kurs hatten wir die Waffen geladen zu Hause liegen, in unserem Schrank im Flur. Aber Freunde hatten deshalb Bedenken, zu uns zu kommen. Jetzt liegen die Schreckschusswaffen im Schrank im Keller. An Silvester haben wir sie mal rausgeholt. Ich bin Techniker, ich habe sie auseinandergenommen und geölt. Aber als wir sie dann abgefeuert haben, war das ernüchternd. Eine Silvesterrakete ist schöner anzuschauen. Und wir kamen uns auch ein bisschen komisch vor und haben uns gefragt, was unsere Nachbarn denken. Die kennen uns ja noch nicht so lange.

Sie: Wenn wir aber wirklich mal an Silvester in eine Großstadt fahren würden oder auf den Kölner Karneval, da würde ich sie mitnehmen.

Er: Auf Festen, auf Veranstaltungen, auf Demonstrationen darf ich sie gar nicht dabeihaben. Von daher ist so etwas ausgeschlossen. Es geht eher um den alleinigen Gang im Dunkeln. Wir sind mal vom Kino in Nürnberg zum Parkplatz gelaufen und haben uns gesagt: Hier, das wäre eine solche Situation, eine Stelle, wo viel passieren kann. Allerdings muss ich da auch die Situation lesen können. Im Zweifel hat der Typ mir gegenüber eine scharfe Waffe vom Schwarzmarkt. Deshalb ist es der letzte Schritt, die Waffe zu ziehen. Nicht zum Zeigen. Wenn ich sie ziehe, drücke ich auch ab.

Sie: Wir mussten uns wegen der Waffe oft vor Freunden und Familie rechtfertigen. Es kam nur durch Zufall raus, meine Mutter hat es bei einer Familienfeier erzählt. Es war dann Tischthema, ein Riesendrama. Meine Schwester wollte uns mit ihren Kindern nicht mehr besuchen kommen. Wir wurden oft gefragt, ob wir nicht übertreiben. Aber wir wollen nicht danach sagen: Ja, hättste mal.

3. Vergessen und vermeiden

Sie: Seit wir umgezogen sind, hören wir zum Glück nicht mehr viel von Kriminalität.

Er: Man merkt die zehn Kilometer Unterschied, die wir jetzt weiter weg von einer Großstadt sind. Und der Autobahnzubringer ist weiter entfernt.

Sie: Es ist eine kleine Gemeinde, es ist noch nie etwas Nennenswertes passiert. Und es gibt auch keine Asylantenunterkunft. Das kann auch eine subjektive Realität sein. Aber vom Gefühl her fühle ich mich hier sicherer, obwohl nicht mal unser Garten umzäunt ist. Hier vergesse ich oft, die Haustür abzusperren. Und wache nicht mehr mitten in der Nacht auf und frage mich: Hast du jetzt zugesperrt? Das hatte ich in Schwarzenbruck öfter.

Er: Wir wiegen uns hier in Sicherheit, deshalb sind die Pistolen im Moment kein Thema. Aber wenn wir mitbekommen würden, aus der Lokalzeitung oder von Nachbarn, dass es Wohnungseinbrüche gibt, dann wäre das anders. Dann würde ich mir meine Schreckschusswaffe auch ans Bett legen, solange wir keine Kinder haben.

Sie: Als der Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin war, haben wir entschieden, dieses Jahr auf keinen Weihnachtsmarkt zu gehen. Klar, alle sagen, man soll sich nicht einschüchtern lassen. Aber überlegt man sich nicht insgeheim dreimal: Muss ich jetzt wirklich dahin? Oder geht’s nicht auch mal ohne dieses Jahr? Man bescheißt sich dann selber. Man sagt dann, dass der Weg so weit ist. Oder das Wetter so schlecht. Man nennt das Kind nicht beim Namen. Und ich denke, ich bin nicht die Einzige, die sagt: Nee, muss jetzt nicht sein. Deshalb sind die Situationen, in denen man die Waffe mitnehmen könnte, inzwischen auch sehr wenige. Ich arbeite auch nicht mehr in Nürnberg. Der Fahrtweg wäre mir von hier aus zu lang. Aber auch der Sicherheitsaspekt hat eine Rolle gespielt. Ich hätte nämlich die S-Bahn nehmen müssen, die abends nur alle vierzig Minuten fährt. Und dann dachte ich mir: Wenn du die eine verpasst, dann hockst du vierzig Minuten am Hauptbahnhof. In Nürnberg. Nein. Möchte ich nicht. Deshalb habe ich mir etwas in der Gegend gesucht. Hätte das nicht geklappt, hätte ich die Waffe aber jeden Tag mitgenommen.

Er: Es gab letztlich keinen Tag, an dem wir die Gaspistolen draußen getragen haben, trotz Waffenschein. Ob wir es bereut haben, den ganzen Aufwand? Nein. Wenn sich die Situation verändert, dann sind wir gerüstet.

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